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Film: THE NORTHMAN

21.04.2022 | FILM/TV, KRITIKEN

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Filmstart: 21. April 2022 
THE NORTHMAN
USA  /  2022 
Regie: Robert Eggers
Mit: Alexander Skarsgård, Nicole Kidman, Ethan Hawke,
Anya Taylor-Joy u.a.

Ja, das waren noch Zeiten, als ein wild-grinsender Kirk Douglas uns wie der Inbegriff eines rauen Wikinger-Helden erschien (und man noch dazu glauben sollte, der dunkelhaarige Tony Curtis sei tatsächlich einer der Nordmänner – lange als groteskeste Fehlbesetzung der Traumstadt belächelt). Das war Hollywood anno 1958, farbig, Cinemascope, handlungs-turbulent, mit tobenden Sauforgien und attraktiven Drachenschiffen ausgestattet… Wie wunderschön naiv das alles war, damals, in den fünfziger Jahren…

Wie sich die Zeiten ändern, kann man immer sehr gut an Filmen ablesen. Sechseinhalb Jahrzehnte später sieht nicht nur die Welt anders aus, auch der Blick, den sie in die Vergangenheit wirft, ist anders – und zumindest gnadenloser. Obwohl – so hart, wie Regisseur Robert Eggers hat kaum jemand das Thema angegriffen. Wobei er uns ja vor sieben Jahren mit dem Film „The Witch“ schon gnadenlosen Tobak serviert hat, und auch „Der Leuchtturm“ war purer Psychohorror  – und Drehbuchautor Sjón Sigurdsson hat schließlich auch „The Lamb“ geschrieben, womit er für veritable Gänsehaut gesorgt hat, Kurz, Meister des „harten“ Filmerzählens sind unterwegs.

Der Titelheld von „The Northman“ heißt Amleth, und das nicht von ungefähr. Denn die dänische Sage, die dem Film zugrunde liegt, hat auch Shakespeare zu „Hamlet“ inspiriert. Allerdings läuft bei ihm die Geschichte anders. Gemeinsam ist der Handlung nur, dass der König von seinem Bruder ermordet wird und die Gattin den Mörder heiratet. Während sich Hamlet ein ganzes, langes Stück hindurch nicht entscheiden kann, ob er Rache nehmen soll, gibt es für Amleth nur die einzige Lebensaufgabe: den Mörder zu töten. Und bis dahin geht er einen langen, unendlich blutigen Weg…

Aber der Film beginnt ja schon früher. Da ist Amleth noch ein kleiner Junge, der seinen meist abwesenden, Krieg führenden Vater geradezu anbetet. Nun kommt König Aurvandil (Ethan Hawke, so gut wie nicht zu erkennen) endlich heim, von der Gattin (Nicole Kidman als Königin Gudrún, glaubhaft als nordische Fürstin, auch, als sie ihrer Figur später eine ganz unerwartete Wendung gibt) scheinbar liebevoll empfangen. Etwas grimmiger erscheint Fjölnir, des Königs Bruder (Claes Bang).

Wenn  Aurvandil nun, offenbar seinen baldigen Tod ahnend, seinen kleinen Sohn magischen Initiationsritualen unterzieht, gerät man in eine total fremde, archaische, Christen würden sagen „heidnische“ Welt, in der auch klar wird, wie viel urtümlich Tierisches da noch im Denken und Verhalten der Menschen herrscht, die bei ihren Ritualen wie wilde Wölfe  heulen… Dieselbe Grausamkeit herrscht in der Folge in allem, was geschieht, es wird gemordet, gemetzelt, alles zittert geradezu vor Gewalt und Blut und Dreck, da herrscht absolute, unmenschliche Gnadenlosigkeit, da erscheinen imaginäre Horrorgestalten, die diesen Film in die Kategorie „nichts für schwache Nerven“ einordnen. Aber dennoch hat man immer das Gefühl, dass der Regisseur auf der Spur von Menschen ist, deren Sein und Handeln ganz bestimmten, fest gelegten Gesetzen folgte, die eine eigene „Kultur“ bedeuteten – wenn es für uns auch eine Brutalo-Kultur sein mag. Es ist eine andere Welt, in die man als Kinobesucher unweigerlich mitgenommen wird. Vielleicht widerstrebend, aber sicherlich fasziniert.

Man sieht also, wie der kleine Amleth den brutalen Mord an seinen Vater beobachten muss – und wie es dem Jungen gelingt zu fliehen. Ein scharfer Schnitt über gut zwei Jahrzehnte: Der erwachsene Amleth (nun sehr überzeugend in Gestalt von Alexander Skarsgård, dem man seine sonstige Attraktivität weitgehend weggeschminkt hat) gehört – wie es dazu gekommen ist, weiß man nicht – einer marodierenden Wikingerbande an, die Dörfer überfällt, plündert, abbrennt  und Menschen jagt, um sie in die Sklaverei zu verkaufen. Nein, er ist kein Guter, er gehört zu den gefürchteten Winkinger-Mordbrennern, er handelt wie alle anderen auch, im Zerstörungsrausch, ohne Gnade.

Die Magie, die das nordische Denken bis heute durchweht (man denke nur an den festen Glauben der Isländer an Trolle und Elfen), lässt ihn in seiner Vorstellung einer entsetzlich hässlichen Hexe begegnen (unter deren Schminkmaske mit vielen Muscheln angeblich Björk steckt), die ihn an seinen Racheschwur erinnert.

Im Gegensatz zu Shakespeares Hamlet ist der Nordmann Amleth davon besessen, diese Rache zu nehmen. Und als er erfährt, dass Fjölnir vom Thron vertrieben wurde und als Gutsherr in Island lebt (wo Amleth auch seine Mutter als Gefangene vermutet), brennt er sich das Sklavenzeichen ein, springt auf ein Boot und lässt sich zu Fjölnirs Gut mitnehmen, wo er – ein starker junger Mann –  prompt als Sklave gekauft wird – ebenso wie die schöne, blonde Olga  (die charismatisch-schöne Anya Taylor-Joy, unvergessene Hauptdarstellerin in „The Witch“), mit der er eine Beziehung eingeht.

Am Gut von Fjölnir sucht er seine Mutter, findet sie, gibt sich zu erkennen – und erlebt die unliebsame Überraschung, dass sie seinen Vater gehasst hat und den Mörder, ihren jetzigen Mann, liebt… nun Shakespeares Königin Gertrud hat man ja auch immer verdächtigt, mit Claudius unter eine Decke zu stecken. Man erlebt den Alltag auf der Farm, das Schicksal der Sklaven, den Hochmut von Fjölnirs Sohn. Seine Rache vollzieht  Amleth in Guerilla-Taktik, mit irritierenden Anschlägen, bis er seinem Onkel endlich Mann gegen Mann gegenübersteht – in phantastischen Bildern, wenn im Hintergrund ein isländischer Vulkan Feuer sprüht… Immerhin ist Olga kein Ophelia-Schicksal beschieden, sie wird schwanger in Amleths ursprüngliche Heimat geschickt.

Das sind zweieinviertel düstere, aber nichtsdestoweniger faszinierende Kinostunden, ein Gewinn für Cineasten, vor allem, weil man nie das Gefühl hat, dass die Grausamkeiten spekulativ als Selbstzweck beschworen werden. Sie sind einfach ein Teil einer fernen, wilden Geschichte aus gnadenlosen Zeiten. Und wenn man bedenkt, wie derzeit ein paar Hundert Kilometer östlich von uns Menschen brutal hingemetzelt werden – wer könnte sich da noch moralisch über die Vergangenheit erheben?

Renate Wagner

 

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