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Film: THE LOST KING

04.10.2023 | FILM/TV, KRITIKEN

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Filmstart: 5. Oktober 2023 
THE LOST KING
GB  /  2023 
Regie: Stephen Frears
Mit: Mit: Sally Hawkins, Steve Coogan, Harry Lloyd u.a.

Eine Frau fragt in einer Bibliothek nach  Büchern über König Richard III. (1452-1485).  Die Bibliothekarin schleppt acht Stück herbei und fragt, welches sie ausleihen wolle. Alle, sagt die Frau. Denn sie war von König Richard III. geradezu besessen – so sehr, dass sie fest entschlossen war, sein Grab, seinen Leichnam zu finden. Und das ist nun kein Drehbuch für einen unglaubwürdigen Film – das war die Wirklichkeit.

Wer sich ein wenig für Shakespeare und Geschichte interessiert (wer kann Laurence Olivier in dieser Rolle je vergessen, der schwärzeste aller Bösewichte?), erinnert sich sehr gut an die wirklich sensationellen Meldungen, die 2012 durch die Medien gingen. Eine Schriftstellerin und Amateurhistorikerin namens Philippa Langley hatte sich nicht nur in den Kopf gesetzt, Richard zu „finden“ – es ist ihr auch gelungen.

Nicht, dass es einfach gewesen wäre – Steve Coogan, der auch Philippas Gatten spielt, hat ein unaufgeregtes, kluges Drehbuch geschrieben – , so weit zu kommen. Schließlich musste sie  die Behörden überzeugen, einen zubetonierten Parkplatz, der stark benützt wurde,  aufreißen zu lassen. Hätte man dort nichts gefunden, wäre sie als „Spinnerin“ (wie so viele, die scheinbaren Phantomen nachlagen und scheitern) vergessen. Da sie recht behielt, ist sie wahrlich einen Film wert.

Regisseur Stephen Frears setzt ganz auf die bekannten Qualitäten von Sally Hawkins (die für brillante Leistungen in „Blue Jasmine“ von Woody Allen und „Shape of Water“ von Guillermo del Toro auf zwei verdiente „Oscar“-Nominierungen hinweisen kann). Niemand spielt scheinbare Durchschnittsfrauen, die sich als etwas Besonderes entpuppen, überzeugender als sie. Hier erlebt man sie mit ihrer Familie bei einer Aufführung von „Richard III.“, wo sie Shakespeares Held nahezu verfällt – er taucht in Gestalt des Richard-Darstellers (Harry Lloyd) dann auch immer wieder in ihren Phantasien auf und unterhält sich mit ihr…

Dann beschäftigt sie sich intensiv mit der Figur dieses letzten Plantagenet-Königs, mit dem die „Weiße Rose“ der Yorks (gegen die Rote Rose der Lancaster) noch einmal die Herrschaft an sich riß, bevor beide Geschlechter (und ihre „Rosenkriege“) endeten und die Tudors zur Regierung kamen. Für die Tudor-Königin Elizabeth I. hatte Shakespeare das Stück über Richard geschrieben und ihn, wie Philippa Langley überzeugt war, absichtlich zum Bösewicht gemacht – Polit-Propaganda anno dazumal. Vor allem, dass er seine beiden Neffen im Tower habe ermorden lassen, will sie einfach  nicht glauben… sein Ruf gehört rein gewaschen, beschließt sie.

Philippa entdeckte, dass es weltweit Menschen gab, die sich in „Richard Clubs“ so intensiv mit ihm befassten wie sie, lauter seltsame Vögel, die sie da kennen lernt. Die Frage, wo er nach der Schlacht von Bosworth (das liegt in Leicestershire, Philippa lebte in Leicester) begraben worden sei, galt als ungelöst. Unter den Richard-Fans kursierten die wildesten Vermutungen, für sie war es eine Art „heiliger Gral“, das Grab Richards  zu finden. Philippa korrespondierte buchstäblich mit der halben Welt.

Dort, wo sich einst die Kirche befand, in der man einen König (auch wenn er die Schlacht verloren hat) wohl begraben hätte, befand sich in Leicester ein Shopping Center. Fraglos begab sich nicht zuletzt in Philippas Kopf viel Irrationales – aber sie „fühlte“, war überzeugt, dass Richard unter dem dazugehörigen Parkplatz zu finden sein müsste. Dass man sie für verrückt hielt (der Gatte übrigens mehr oder minder auch, der ihre Unternehmung für eine kolossale Zeitverschwendung hielt), versteht sich.

Die Wissenschaftler der Universität Leicester schüttelten über sie den Kopf und lachten: Richard III. under a car park!  Wie schnell sie dabei waren, den Ruhm für sich zu beanspruchen, als das Skelett gefunden wurde… das versteht sich auch. Dabei war es einzig und allein das Verdienst von Philippas  unerschütterlicher Überzeugung und letztlich Überzeugungskraft, das nötige Geld per Fundraising aufzutreiben, wobei sie auch bereit war, einen Teil der Kosten der Baggerarbeiten zu übernehmen…

DNA funktioniert noch nach Jahrhunderten, das gefundene Skelett wurde identifiziert – Richard hatte übrigens tatsächlich einen Buckel, was Philippa immer für Gräuelpropaganda gehalten hatte…Die Universitäten drängten sich vor, aber Philippa ging es vor allem darum, Richard III. heute ein königliches Begräbnis zu verschaffen. Auch das gelang ihr. Der König ritt übrigens auf sie zu und bedankte sich bei ihr – zumindest in ihren Träumen…

Später hat sie Bücher zu dem Thema geschrieben, damit sie nicht ganz vergessen würde. Der Film setzt ihr jedenfalls – auch dank der Leistung von Sally Hawkins, die den Mut, die Entschlossenheit und nicht zuletzt die Bereitschaft, sich auch auslachen zu lassen, hinreißend verkörpert – ein großes Denkmal.

Renate Wagner

 

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