Filmstart: 4. März 2022
THE CARD COUNTER
USA – GB / 2021
Drehbuch und Regie: Paul Schrader
Mit: Oscar Isaac, Willem Dafoe, Tye Sheridan, Tiffany Haddish u.a.
Der Titel und die Anfangsszenen lassen vermuten, dass es einfach um Glücksspiel geht (und der Erzähler aus dem Off konzentriert sich anfangs ganz darauf). Wie machen das die Profis, die sich bei Poker, Blackjack und anderen Kartenspielen die besten Chancen ausrechnen dürfen, weil sie imstande sind, sich jede gefallene Karte zu merken?
Da gibt es Spieler, die von Casino zu Casino reisen, und auch solche, die von Agenten geführt werden und für Organisationen spielen. Man kann sogar bei Meisterschaften kämpfen… Ganz schön kriminell, sicher gut für einen unterhaltenden Thriller, vielleicht à la „Casino“?
Aber um Glamour geht es Regisseur und Drehbuchautor Paul Schrader (in letztgenannter Eigenschaft ewig berühmt für Scorsese / De Niros „Taxi Driver“) nicht, er will es schon anspruchsvoller. Sein Held, der William Tell heißt (was hierzulande ein Lächeln erzeugt), flieht quasi in die Welt der Karten, in Mathematik und Scheinprobleme, um seine Vergangenheit hinter sich zu lassen. Die höchste Konzentration, die die Karten verlangen, die wortlos ausgetragenen Machtspiele der Beteiligten, das fast meditative Versenken in die Situation – hilft es Tell, vor seinen Erinnerungen davon zu laufen, nicht an Armee, Gefängnis und Folter zu denken, die er hinter sich gelassen hat? Dafür koppelt er sich ab, einsame Hotelzimmer, Spieltische ohne Glamour, das totale Abtauchen ins Einzelgängertum. Da ist nur eine Agentin namens La Linda (Tiffany Haddish), die ihn beobachtet, engagiert und immer wieder auftaucht, nicht loslässt und doch eine Art von Beziehung zu ihm aufbaut.
Schrader, der hier seine Version von Schuld und Sühne erzählt, hat die zentrale Rolle mit Oscar Isaac besetzt, den man oft gut, sehr gut gesehen hat, aber nie so eindrucksvoll, so enigmatisch wie hier. Der klassische Einzelgänger kann aber den jungen Cirk (Tye Sheridan) nicht abwehren, der ein Anliegen hat, das eng mit Tells Vergangenheit zusammen hängt. Denn Tell war einst mit seinem Vater in dem berüchtigten Gefängnis von Abu-Ghuraib in Bagdad unter der Ägide von Major John Gordo (Willem Dafoe), wo sie auf dessen Befehl gezwungen waren, zu foltern und zu morden. (Er habe Talent dazu, hatte Gordo befunden, und Tell dazu abgestellt…)
Man kennt den Fall als Abu Ghuraib-Folterskandal, und nun stellt sich heraus, dass es eigentlich darum geht. Wie kann man, wenn man es als Täter überlebt hat, damit leben? fragt Paul Schrader. Tell und Cirks Vater kamen nach dem Auffliegen der amerikanischen Verbrechen ins Gefängnis (Gordo nicht), Cirks Vater konnte die Schuld nicht ertragen und brachte sich um, Tell stieg in die gesichtslose Welt des Kartenspiels ein…
Von da an läuft der Film auf zwei Ebenen – Tell zieht nun mit Cirk durch die Casinos, aber die Vergangenheit ist allgegenwärtig. Der Film erspart das dem Zuschauer nicht, die verzerrten Szenen aus Abu Ghuraib in Rückblicken, hier ist die Verfremdung durch die Kamera ein Teil des Schauderns. Der Showdown der Rache, die dann doch an dem wahren Täter stattfindet, ist vor allem zu hören.
Und dann ist Tell wieder im Gefängnis, als ob es der Ort sei, an den er gehörte – als Sträfling, verurteilt für seine Taten. Er und La Linda können nur an der Glasplatte, die sie trennt, die Fingerspitzen an einander legen. Und doch ist es Paul Schrader gelungen, dass man das Gefühl der Katharsis mit dem Hauptdarsteller teilt. Er hat getötet, Er hat gebüßt. Er hat sich selbst erlöst.
Paul Schrader hat in einem faszinierenden Mix zweier Welten, des Folter-Gefängnisses und der Casino-Kartentische, ein Schicksal gestaltet, das unter die Haut geht und zu seinen unvergeßlichen Filmen zählen wird.
Renate Wagner