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Film: TAUSEND ZEILEN

27.09.2022 | FILM/TV, KRITIKEN

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Filmstart: 29. September 2022 
TAUSEND ZEILEN
Deutschland  / 2022
Regie: Michael Herbig
Mit: Elyas M’Barek, Jonas Nay, Michael Maertens, Michael Ostrowski, Jörg Hartmann u.a.

Sicher, an die Affäre um die gefälschten Hitler-Tagebücher (die dem „Stern“ dann auch nicht das Rückgrat gebrochen, nur viel Spott und Häme eingetragen haben) kommt die  Affäre Claas Relotius nicht heran, die den „Spiegel“ auch nicht umgebracht, aber ziemlich ramponiert hat. Stellte sich doch heraus, dass ihr preisgekrönter Starreporter schlicht und einfach die Geschichten, die er so wirkungsvoll ins Blatt setzte, großteils erfunden und in eine Form gegossen hatte, die nicht nur die Leser, sondern auch die „Spiegel“-Verantwortlichen goutierten. Und die angeblich so großartige, gewissenhafte Abteilung „Dokumentation“, die zur Überprüfung der Geschichten eingesetzt ist, ist jahrelang nicht über den Fake gestolpert…

War es nur eine Täuschung, wie gerne gesagt wurde, oder ist es schlechtweg Betrug? Oder ist es – gar nicht so wichtig?  In einer Zeit nämlich, wo heute schon alles vergessen ist, was gestern war, weil eine neue Lawine von „News“ hereingebrochen ist und sich angesichts des unentwirrbaren Dickichts gar niemand damit abgeben kann, was davon „Fake“ war oder ist?

Aber ein so komplexes Thema wie Spiegel / Relotius von 2018 hält denn doch länger als einen Tag. Und Michael Herbig, der in diesem Fall den „Bully“ weglässt, weil er spätestens mit der DDR-Geschichte „Ballon“ gezeigt hat, dass er auch abseits der „Bullyparade“-Blödeleien „richtige“ Filme drehen kann, hat sich des Themas angenommen. Als Satire wohl gemerkt – mit dem Anspruch, den echten Hintergrund dieser so zutiefst fragwürdigen Geschichte nicht zu verschleudern. Und das ist ihm (mit einigen Einschränkungen) auch gelungen.

Die Namen sind nur leicht verändert, aus Claas Relotius wurde Lars Bogenius, aus Juan Moreno, der den Betrug (unter allergrößten Schwierigkeiten) aufgedeckt hat Juan Romero, und der „Spiegel“ heißt hier „Chronik“. Im übrigen wird erzählt, wie es in einer Redaktion zugeht – und wer es aus eigener Erfahrung kennt, weiß, wie gnadenlos bei Redaktionskonferenzen die Schwächsten im Team herunter gemacht werden, zu peinlichem Schweigen der anderen, die froh sind, diesmal nicht selbst dranzukommen. Die Hackordnung ist gnadenlos, und von wertschätzendem Umgang hat dort noch niemand gehört.

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Ein Glücksfall sind die Besetzungen des Chefredakteurs und des Ressortleiters mit Jörg Hartmann und Michael Maertens, für die der Erfolg des Magazins vor allem ihr eigener ist und die auch in gnadenloser Selbstdarstellung durch die Handlung fegen, Verantwortung nur im Fall des Sieges übernehmen, diese aber bei Niederlage weit weg schieben wollen… Vor allem der Balanceakt von Michael Maertens zwischen Charakterstudie und den winzigen Überzeichnungen in Richtung Parodie ist ein schauspielerisches Gustostück, mit dem er seinen darstellerischen Rang besser manifestieren kann als in mancher Burgtheater-Produktion.

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Die Chefs klammern sich an Lars Bogenius, weil seine hoch gejubelten Stories dem Prestige und der Auflage des Magazins nützen. Herrlich wie Jonas Nay mit schier unbeweglicher Miene den verschlossenen, aber menschlich noblen Einzelgänger gibt, der später, wenn man ihm aufs Fell rückt, mit ganzer Rücksichtslosigkeit zuschlägt. Da ist nichts mehr zu lachen, das stimmt auf schreckliche Weise.

Der Film hängt an Juan Romero, wie er hier heißt, der als Unterläufel neben Bogenius an der US-Grenze zum Thema Flüchtlingselend eingesetzt wird (an seiner Seite der Chauffeur, als der Michael Ostrowski ganz sein übliches, wienerisch-goschertes Ich ist, was aber perfekt in die Rolle passt). Er soll dem großen Meister eigentlich nur zuarbeiten, kommt aber auf Ungereimtheiten, denen er dann fanatisch nachgeht. Die „Chronik“-Bosse wollen vom Betrug ihres Stars nichts hören (die wunderbaren Geschichten sind im Luxushotel erfunden, nicht an der „Front“ erlebt?), weit eher sind sie bereit, Romero unlautere Motive und seinerseits Betrug aus persönlicher Eifersucht zu unterstellen… Bis das Interview mit einem Söldner (stark: Jeff Burrell) an der amerikanisch-mexikanischen Grenze dann doch keinen Zweifel mehr daran lässt, dass dieser  Bogenius nie gesehen hat…

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Elyas M’Barek spielt Juan Romero, und in diesem Fall ist wichtig, dass er nicht auf Anhieb „deutsch“ aussieht. „Unter uns Kanaken“, sagt die ebenfalls nicht deutsch-rassige Kollegin in der Redaktion (Sara Fazilat) – und M’Barek, Sohn eines tunesischen Vaters war schon überzeugend Türke, ist hier überzeugend Südländer. Und in der „Chronik“ ein Journalist, der in der zweiten Reihe gehalten wird, weil man ihm nichts wirklich zutraut. Vielleicht spielt er das Klischee des etwas verwahrlosten, wildlockigen Reporters etwas zu stark aus, aber man glaubt ihm die Jagd nach der Wahrheit.

Leider überbordet an seiner Person der Familienkitsch und bringt den Film manchmal aus dem Tritt. Da wird dann die TV-Schnulzen-Problematik daraus, ob Papi so in seinem Beruf aufgehen darf, wenn er doch eine so hübsche Frau (Marie Burchard) und gleich vier (!!!) so nervtötend entzückende kleine Töchter hat! Da trieft es nur so von der Leinwand, vor allem auch am Ende, aber man schiebt das gerne weg – denn man hat durchaus gesehen, wie es im deutschsprachigen Journalismus zugeht, und man hat auch noch legitim darüber lachen dürfen. Die Moralkeule wurde nicht geschwungen, die Geschichte spricht für sich selbst. Diese Erkenntnis darf man den Kinobesuchern schon zutrauen.

Renate Wagner

 

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