Filmstart: 10. Juli 2020
SMUGGLING HENDRIX
Zypern / 2019
Regie: Marios Piperides
Mit: Adam Bousdoukos, Fatih Al, Vicky Papadopoulou u.a.
Natürlich hat der Musiker Yiannis seinen Hund nach seinem Idol Jimmy Hendrix benannt, aber für ihn ist er nur „Jimi“ und ein Gefährte, ohne den er nicht sein kann und will. Im übrigen erfahren wir von dem schwarzgelockten, leicht fülligen und ungemein liebenswerten jungen Mann (prächtig: Adam Bousdoukos – wüsste man es nicht, man käme nicht darauf, dass er gebürtiger Deutscher ist) nur, dass er nicht in dem „Shithole“ Nikosia bleiben will, sondern seine Ausreise in die Niederlande schon organisiert hat. Ja, und da läuft ihm Jimi davon, mit der Leichtigkeit eines Hundes Grenzen überwindend, die für Menschen nicht so leicht zu bewältigen sind.
Denn, man erinnert sich (oder weiß es), dass die Türkei 1974 in einem Gewaltakt den Norden der Insel Zypern besetzt und die dort lebenden Griechen vertrieben hat. Man riß sich, wider jedes Völkerrecht, ein Drittel der Insel unter den Nagel, siedelte Türken an und nennt das Staatsgebilde, das international von niemandem anerkannt wird, „Türkische Republik Nordzypern“. Und die Hauptstadt Nikosia ist eine durch eine Mauer geteilte Stadt mit einer von UNO-Blauhelmen bewachten Pufferzone zwischen beiden Teilen.
Mit Paß kann man die Grenze überqueren – also schafft es Yiannis, weil er mit seiner Sorge um den im türkischen Teil verlorenen Hund zumindest seine griechischen Landsleute rührt, „hinüber“ zu gelangen. Und er findete Jimi auch in einem Lager, wo die Türken Tiere „aufbewahren“. Aber als er mit seinem Liebling unter dem Arm zurück kehren will, stößt er an eine andere Grenze, die des EU-Rechts: Tiere dürfen nämlich aus einem Nicht-EU-Land keinesfalls in die EU eingeführt werden. Und die Türken an der Grenze, die absichtsvoll nicht sehr liebenswürdig sind, lassen den verzweifelten Yiannis ganz schön auflaufen…
Aber es ist nicht nur ein letztendlich sozusagen „herzerquickender“ Tierfilm, den Regisseur Marios Piperides hier gedreht hat. Zypern ist schließlich nicht nur eine „Ferieninsel“, sondern ein Problem-Hotspot, und sobald Yiannis im türkischen Teil die Gelegenheit wahrnimmt, das Haus zu suchen, aus dem man seine Familie vertrieben hat, ist man mitten in der Tragödie, die beide Seiten betrifft. Denn für Hasan (Fatih Al), den man hier angesiedelt hat, ist dieses Haus und dieses Zypern nun auch seine Heimat – einst hat man sie ihm zugeteilt, nun würde er nirgendwo anders hin wollen, schon gar nicht in die Türkei… In den Augen der griechischen Zyprioten wird er aber immer der Feind und der Besatzer sein.
Marios Piperides verliert den Humor, mit dem er seine Geschichte erzählt, auch dort nicht, wo es bitter wird („Mein Großvater hat diesen Baum gepflanzt!“ „Mein Vater hat diese Türe neu eingesetzt“), wo ältere und jüngere „Rechte“ nicht gegen einander aufgerechnet werden können. Die Geschichte wird nicht einmal hoffnungslos bitter, als Yiannis sogar (mit Hilfe von Hasan) den professionellen Schmuggler Tuberk (Özgür Karadeniz) engagiert, der ihm Jimi über die Grenze bringen soll – und der skrupellose Mann benützt das Tier, um ihm Rauschgift in den Bauch zu stopfen… Angesichts von Yannis’ Verzweiflung kann er nur den Kopf schütteln: „Was machst Du so ein Theater um den Hund? Kauf Dir einen neuen!“
Jeder Tierfreund weiß, dass das keine Option ist, auch nicht für Yiannis, und wenn sich seine Exfreundin Kika (Vicky Papadopoulou) in der schweren Situation so bewährt, die nach und nach immer toller wird, vielleicht überlegt sich Yiannis das Auswandern doch noch? Außerdem rennt Jimi, das Rabenvieh am Ende schon wieder davon… und man merkt als Kinobesucher, dass man sich ganz ernsthaft den Kopf zerbricht, wie er das Tier in den Niederlanden einführen will? Na ja, von EU-Land zu EU-Land… geht vielleicht mit etwas Mühe.
„Smuggling Hendrix“ ist eine gänzlich unkitschige, unsentimentale Komödie ohne einen Hauch von jenem Tierfilm-Hautgout, das oft so ungut schmeckt, und dabei noch ein Film, der ohne Partei zu ergreifen zeigt, dass diesseits und jenseits der Mauer von Zypern Menschen leben, die gleicherweise unter dem „geteilten Land“ leiden. Voll verdient hat der griechisch-zypriotische Regisseur für diese kostbare Komödie den Hauptpreis des Tribeca-Festivals errungen.
Renate Wagner