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Film: SENECA

06.04.2023 | FILM/TV, KRITIKEN

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Filmstart: 6. April 2023
SENECA
Deutschland (gedreht in englischer Sprache) / 2023
Drehbuch und Regie: Robert Schwentke
Mit: John Malkovich, Tom Xander, Geraldine Chaplin u.a.

Wer in der Schule Latein gelernt hat, dem ist Seneca auf jeden Fall untergekommen, und wer sich je mit Nero beschäftigt hat, der kennt ihn auch. So wie Alexander in Aristoteles einen großen Philosophen zum Lehrer hatte, so hätte aus Nero unter der Anleitung von Seneca, einem der großen Denker seiner Zeit, etwas Besseres werden sollen, als dann herausgekommen ist. Bei Filmfreunden leuchtet bei den Namen „Nero“ die Erinnerung an Peter Ustinov in „Quo vadis“ auf. Wenn ein Film nun „Seneca“ heißt, kann man gut und gern ein Biopic aus der glanzvollsten Zeit des Imperium Romanum erwarten.

Nichts dergleichen bei dem Film des deutschen Regisseurs Robert Schwentke, der nach eigenem Drehbuch in englischer Sprache mit Weltstar John Malkovich in der Titelrolle drehte und in Interviews von der politischen Parabel sprach, die er nur höchst unzureichend auf die Leinwand gebracht hat. Die Mitwirkung von Malkovich sicherte ihm die Resonanz im englischsprachigen Raum, mit dem Effekt, dass die dortigen Kritiker – viel weniger rücksichtsvoll als viele der sich windenden Rezensenten hierzulande – aussprachen, welchen Eindruck dieser Film hinterlässt: Was soll das Ganze eigentlich, was hat der Regisseur gemeint?

Vielleicht hat er gemeint, er müsse einen ironischen Horrorfilm darüber drehen, wie man in einer Diktatur überlebt, denn Nero hat sich als ein lebensgefährliches Monster erwiesen (dessen Mordlust auch vor dem ehemaligen Lehrer nicht Halt machte). Dazu braucht Schwentke keine historische Ausstattung, sondern lässt das Geschehen gewissermaßen als Fetzenkarneval in irgendeiner Wüste (gedreht wurde in Marokko) stattfinden. Nicht vom Kaiser ist die Rede, sondern von „Mr. President“, und eine erklärende Stimme aus dem Hintergrund scheint immer wieder zu betonen, wie wenig ernst all das gemeint ist.

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Seneca wird von der Nachwelt zwiespältig beurteilt, konnte doch sein Leben, das etwas über 60 Jahre währte, mit seinen hoch ethischen philosophischen Positionen nicht übereinstimmen, wenn man einem Herrscher gefallen muss, der dich absolut jede Sekunde töten lassen kann. Darum begegnet uns Seneca mit dem jungen Nero auch als Schmeichler. Neros Mutter Agrippina, die Seneca für ihren Sohn engagierte, hat ihn  als „Experten des Überlebens“ bezeichnet. Mit den rhetorischen Künsten versucht sich Seneca aus allem herauszuwinden („He thinks he can bullshit his way out of anything“, heißt es einmal). Das klingt tatsächlich nach Polikern von heute, die bloß heiße Luft verströmen…

Dabei beschwört der Regisseur eine blutige Endzeit, Nero, der „President“, ist hochzufrieden, wenn er bei Folterungen zusieht, und da sich der Film nie mit irgendeiner Logik oder auch klaren Chronologie abgibt, ist man, mit Rückblenden undeklariert hüpfend,  ganz schnell von Neros Jugend bei  jenem Moment, wo er Senecas Hinrichtung befiehlt. Noblerweise darf der Philosoph es selbst tun, was bedeutet, dass er das auch seiner jungen schönen Ehefrau beibringen muss. Und auch sich selbst fragen, ob Philosophie wirklich gegen den Tod hilft…

Im übrigen muss Seneca zugeben, dass es ihm nicht gelungen ist, die Menschen von Rom vor einem gefährlichen Kind mit zu viel Macht zu retten… Mit dem Cicero-Zitat „Male Parta Male Dilabuntur(etwa: Aus Schlechtem kann nichts Gutes herauskommen) verabschiedet er sich. Das ist dann wohl auch ein Abgesang auf die Philosophie und ihre realen Möglichkeiten in der menschlichen Existenz.

Seneca redet so gut wie den ganzen Film hindurch, nicht immer so gescheit, wie man es von ihm erwarten könnte (aber da steht ja noch ein Drehbuchautor dazwischen, der ihm vieles in den Mund legt), und wie John Malkovich das so souverän tut, so ironisch und überlegen und doch spürbar voll von innerer Verzweiflung, macht er einen Film beinahe sehenswert, der dramaturgisch völlig einknickt  Das Sokratische Ich weiß, dass man letztlich nichts weiß.

Genau so geht es dem Kinobesucher nach Besuch dieses Films, der sein Thema in formale Exzentrik hinein verschleudert

Renate Wagner

 

 

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