Filmstart: 2. Dezember 2022
SCHÄCHTEN
Österreich / 2022
Drehbuch und Regie: Thomas Roth
Mit: Jeff Wilbusch, Paulus Manker, Miriam Fussenegger, Julia Stemberger, Christian Berkel u.a.
Prädikat: Sehenswert
In seinem Film „Schächten“ (ganz erklärt sich der Titel nicht, weil er am ehesten an eine jüdische Fleischerei erinnert) lässt Thomas Roth als Drehbuchautor und Regisseur die Vergangenheit doppelt nicht ruhen. Zwar gab es für die Aufarbeitung der Nicht-Aufarbeitung der Nazi-Zeit direkt nach dem Zweiten Weltkrieg den Film „Murer“, aber der handelte vor allem von dem Prozeß. Roth zeigt in „Schächten“ streiflichtartig, was in Mauthausen geschah, aber vor allem, wie sich die sechziger Jahre in Österreich anfühlten – für die wieder gekehrten Juden und die wieder gut etablierten Ex-Nazis.
Roth hat, wie er in mehreren Interviews sagte, mehrere Anregungen erhalten. Von den Aufzeichnungen Simon Wiesenthals (der in seinem Film vorkommt, ohne dass Darsteller Christian Berkel irgendeine Art von Ähnlichkeit mit dem doch sehr bekannten Vorbild erreichen würde), aber auch von einem Juden der Enkel-Generation, den die Ereignisse damals nicht ruhen ließen. Hier die ermorderten Verwandten, dort Johann Gogl, der im KZ Mauthausen zahlreiche Verbrechen an jüdischen Häftlingen begangen hatte und gänzlich ungehindert im Salzkammergut lebte….
Der Enkel, die Hauptfigur, hier Victor Dessauer genannt, gespielt von Jeff Wilbusch, ist die problematische Hauptfigur eines problematischen Films. In den sechziger Jahren in Wien, hat er die einst einkassierte Familienfirma wieder übernommen. Der Vater (Michael Abendroth) ist ein gebrochener Mann, Victor hingegen entschlossen, etwas zu tun – gegen den offenbar nach wie vor allgegenwärtigen Antisemitismus, vor allem aber gegen Naziverbrecher wie Kurt Gogl, wie er hier hieß, der reale Name war Johann Gogl, bezeichnet als der „Schlächter von Mauthausen“. Thomas Roth mischt Realität und Fiktion (und wie Johann Gogl gestorben ist, ist im Internet nicht zu finden…)
Das Problem des Films: Was erzählt man, wenn man nichts Neues zu sagen hat? Die längste Zeit werden Klischees abgeklappert – wenn Dessauer eine „arische“ Freundin hat (Miriam Fussenegger versprüht ungeheure Naivität), ist es logisch, dass deren Eltern (Roland Koch, Theresia Haiger) erstarren, aber natürlich nicht wagen, irgendetwas dagegen zu sagen. Auf die klassische Frage „Was hast Du im Krieg gemacht, Papi?“ finden sie nur die klassische Antwort: „Ihr habt ja keine Ahnung, wie das damals war.“
Man erlebt Victor inmitten eines jüdischen Beziehungsnetzes, wo man einander unterstützt, erlebt aber auch das Übliche, wie schamlos sich Unbelehrbare (hier Polizisten) gegen Juden benehmen. Victor und Simon Wiesenthal schaffen es, Gogl vor Gericht zu bringen, und wie in der Realität wird er auch im Film zweimal frei gesprochen. Bis dahin eiert der Film dramaturgisch völlig unsicher hin und her. Victor weiß nicht, was er tun soll, sein Autor weiß es auch nicht.
Immerhin widmet er sich einigermaßen der Figur des Gogl, gespielt von Paulus Manker, der gerne der neue Qualtinger wäre (den Umfang hat er ja schon), aber mit der leisen, schmierigen Art des Lügners, der gerade dadurch „gefährlich“ wirken soll, ist er auch nur das übliche Klischee – ohne besondere Nachdrücklichkeit übrigens. Julia Stemberger gibt die klassische Ehefrau, die den Mann wild verteidigt, weil sie nichts weiß oder nichts wissen will. Dass Gogl die Erkenntnis von sich gibt, die Nazis hätten das Schlechteste der Menschen hervorgeholt, ist nicht sehr wahrscheinlich.
Wenn Gogl von den Österreichern unter Beifall zweimal frei gesprochen wird, beginnt der „Ein Mann sieht rot“-Selbstjustiz-Rachefeldzug – und ganz offenbar ist Thomas Roth der Meinung, Victor habe jedes Recht dazu. Dass Wiesenthals Buch „Recht nicht Rache“ heißt, scheint keine Rolle zu spielen. Nun sind die jüdischen Freunde (Georg Friedrich, Konstantin Frank) dabei , beim „Krimi“-Teil der Ermordung (via Entführung von Gogls Ehefrau) zu helfen – aber so ungenau in der Erzählweise, dass man gar nicht weiß, was eigentlich konkret passiert. So verschwurbelt darf man einem Kinopublikum nicht kommen. Und ob man damit wirklich (wie beabsichtigt) die Überlegung in Gang setzt, ob dieses Handeln gerechtfertigt ist, scheint zweifelhaft.
Am Ende ist Victor in den USA und preist das Land, wo man als Jude ohne Angst leben könne. Wenn er tatsächlich glaubt, dass es in Amerika keinen Antisemitismus gibt, ist er allerdings schlecht informiert…
Renate Wagner