Filmstart: 14. September 2023
RETRIBUTION
USA / 2023
Regie: Nimród Antal
Mit: Liam Neeson, Embeth Davidtz, Matthew Modine, Lilly Aspell, Jack Champion u.a.
Mancher Durchschnittskrimi hat schon davon gelebt, dass Liam Neeson ein so guter Schauspieler ist. Tatsächlich hat er sich in dem Genre eine Alterskarriere geschaffen, die ihn auf der Leinwand hält. Ein Ausflug wie zu „Marlowe“ (ein Film über Raymond Chandlers berühmten Privatdetektiv, der nicht in unsere Kinos kam, aber auf die DVD erschienen ist) war zwar für ihn zweifellos interessanter, aber nicht so lukrativ. Also spielt er wieder, was er kann wie sonst keiner – einen verzweifelten Vater, der seine Kinder rettet.
Davor lernt man in „Retribution“ kurz die persönliche Situation von Matt Turner, in Berlin tätiger amerikanischer Investment-Banker, kennen. Neeson gibt von Anfang an einen Mann in Hochspannung, der den Kopf voll hat von seiner Arbeit. Als die Gattin (die attraktive Embeth Davidtz) verlangt, er solle die Kinder in die Schule bringen, versucht er das abzuwimmeln. Aber die Gattin besteht darauf, also packt er Emily (Lilly Aspell). die jugendliche Teenager-Tochter, und Zach (Jack Champion), den halb erwachsenen Sohn, ins Auto. Ein Telefongespräch, das er dann führt, macht klar, unter welchem Druck er steht: Mit verzweifelter Gewalt überredet er einen Kunden, der wegen Verlusten sein Geld von der Bank abziehen will, doch durchzuhalten… Man spürt, dass er geschäftlich am Abgrund balanciert.
Was dann kommt, ist nicht nur bekannt, weil der hier zugrunde liegende spanische Film „Anrufer unbekannt“ schon zwei Remakes hatte (ein koreanisches und ein deutsches mit Wotan Wilke Möhring). Die Situation, dass eine unbekannte, bedrohliche, sadistische Stimme verlangt, dass man immer weiter fahren muss, sonst explodiere eine im Auto versteckte Bombe, hat es in Variationen immer wieder gegeben (unvergesslich, wie Sandra Bullock und Keanu Reeves für „Speed“ in einem Bus herumrasten).
Logischerweise spielen gut 80 Prozent des Films im Auto, und davon ist man 90 Prozent der Zeit auf das Gesicht von Liam Neeson fixiert (die Kinder auf den Rücksitzen benehmen sich, als sie die lebensgefährliche Drohung erkennen, eigentlich sehr manierlich). Ja, und Neeson spielt nun alles, die Ungläubigkeit, den Schrecken, die Ratlosigkeit, als er erkennt, wie ernst es der Gegner meint (der zwei andere Autos in die Luft jagt). Auf seinem Gesicht spiegelt sich die ununterbrochene Bemühung, die Lage zu durchschauen und etwas dagegen zu unternehmen. Was nicht so einfach ist. Regisseur Nimród Antal kann sich jedenfalls darauf verlassen – Neeson macht das schon.
Nach und nach stellt sich heraus, dass es um die Geldgeschäfte seiner Firma geht, um Rache, und am Ende lernt man auch den Gegner kennen. (Dass dieser keinesfalls ein technischer Mastermind sein muss, um alle Drohungen selbst gebastelt zu haben, erklärt er auch – im Darknet gibt es die Fachleute dafür).
Neben den Kindern und der Gattin, die möglicherweise seitenspringt, kommt dann noch nebenbei eine amerikanische Agentin zum Zug, die Matt eine zeitlang für den Täter, nicht für das Opfer hält. Aber das sind Marginalien, ebenso wie Berlin, durch das er mit seinem Auto unaufhörlich kurvt (hie und da lugt eine bekannte Sehenswürdigkeit wie die „Schwangere Auster“, das Haus der Kulturen, ins Bild).
Alles in allem ist es ein Liam Neeson-Film und strikt für seine Fans – den anderen dürfte die Story zu abgegriffen sein.
Renate Wagner