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Film: POOR THINGS

17.01.2024 | FILM/TV, KRITIKEN

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Filmstart: 18. Jänner 2024 
POOR THINGS
ISA  /  2023
Regie: Giorgos Lanthimos
Mit: Emma Stone, Willem Dafoe, Mark Ruffalo u.a.

Dämonische Ärzte, die gerne mit Menschen experimentieren, gibt es vermutlich auch im wahren Leben, vor allem aber in der Literatur. Hier begegnet man Dr. Godwin Baxter (Willem Dafoe, bewährt in solchen Rollen), der ein Mädchen von den Toten zurück geholt hat (Frankenstein irrlichtert herüber). Nun lebt sie – in dem Körper eines Teenagers, mit dem Gehirn eines Kleinkindes oder, besser gesagt, einer Behinderten.

Bevor der Film farbig wird, bewegt er sich die längste Zeit schwarzweiß in einer viktorianischen Welt eines düsteren Londons und beschwört echte Horror-Atmosphäre, nicht zuletzt durch das zerstörte Gesicht des gespenstischen Doktors. Man darf ihm nicht ohne Gänsehaus zusehen, wie er seine „pretty retard“ wie eine Puppe behandelt, die allerdings ein störrisches Geschöpf ist.

Bella also ist das Thema des Films, vielmehr was Emma Stone aus ihr macht, vom jungen Mädchen bis zur erwachsenen Frau. Da ist zuerst der dumm-töricht-leere Gesichtsausdruck von jemandem, der nicht wirklich da, nicht von dieser Welt ist. Da ist das verzögerte Sprechen, das nach Ausdruck sucht. Da schlackern die Gliedmaßen, als hingen sie wie bei einer Marionette an Scharnieren. Entscheidend an diesem debilen Geschöpf ist ihre absolute Bereitschaft zum Sex – und das wird eines Tages ihre Waffe sein.

Dass Emma Stone mit ihrer Leistung umweglos auf einen „Oscar“ zusteuert, darauf würde man eine Menge verwetten. Fast immer wurde jede Art von Behinderung, jede Abweichung vom Normalen mit der Statuette belohnt. Und Emma Stone hätte sie verdient, ist sie doch erschreckend brillant.

Natürlich muss es in Zeiten wie den unsrigen auf weibliche Selbstfindung und weibliche Selbstbestimmung hinauslaufen, auch wenn die Frau dann zur Männer-  bzw. zur Menschenfresserin wird. Denn dieses „arme Ding“ packt, erst unbewußt, dann bewusst, die Männer bei ihren Begierden. Wer versucht, sie zu formen, zu erziehen, ihre Entwicklung zu bestimmen, wird an ihr scheitern. Das passiert zuerst Dr. Max McCandles (Ramy Youssef, bedauernswert naiv), dann noch schlimmer dem hochmütigen Anwalt Duncan Wedderburn (Mark Ruffalo bekommt ganz schon was ab), der mit ihr durch Europa und Nordafrika reist und von ihr laufend gedemütigt wird. Und die Pariser Bordellmutter, die in ihr eine hochbegabte Mitarbeiterin mit Lust an Bondage findet, geht gleichfalls (im doppelten Wortsinn) in die Knie.

Aus der „armen“ Behinderten ist eine bewusst grausame, grenzenlos gewissenlose, absichtsvoll bösartige Lulu geworden („Ich brauche keinen Mann, der mir etwas erlaubt“) – bis die Handlung zunehmend wirrer und verrückter wird, um Bella endlich als starke Frau vorzufinden, die nun Medizin studiert und die es den Männern gewissermaßen „gezeigt“ hat, dass deren Herrschaft über sie zu Ende ist.

Das hat der griechische Regisseur Giorgos Lanthimos mit aller Lust an jeglicher Grausamkeit und dabei schaurigem Brutalo-Humor entwickelt  (wie er es schon 2019 in seinem Film „The Favourite“ am Hof von Queen Anne gezeigt hat…mit einem „Oscar“ für Olivia Colman, und damals war auch Emma Stone dabei).

Mit knapp zweieinhalb Stunden Spielzeit zieht sich der Film allerdings, der seine schaurige Faszination, die man anfangs empfindet,  nicht grenzenlos aufrecht erhalten kann. Dennoch scheinen sich viele Kritiker in diesem Film vor allem blendend unterhalten zu haben. Dabei ist es weniger eine lustige als eine grausige Geschichte. Wenn man  einst zu jenen Wienern gehört hätte, die sich an den Fenstern des „Narrenturms“ drängten, um „Verrückte“ zu sehen, ist man vielleicht nicht so begeistert. Aber viel mehr hat dieser Film – so eigentümlich und kunstvoll er auch ist – im Grunde nicht zu bieten.

Renate  Wagner

 

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