Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

Film: OSKARS KLEID

18.12.2022 | FILM/TV, KRITIKEN

film oskarskleid hauptplakat 223x324 x

Filmstart: 22. Dezember 2022 
OSKARS KLEID
Deutschland /  2022 
Regie: Hüseyin Tabak
Mit: Florian David Fitz, Laurì, Marie Burchard, Senta Berger, Burghart Klaußner u.a
.

Dieser Film ist keine Verbeugung, kein Kniefall, er ist ein Bauchfall vor der politischen Korrektheit. „Genderfluid“ ist das Wort, das heute – nicht ohne Medienanstrengung – immer wieder hoch gespült wird, egal, wie minimal der Prozentsatz der Menschen ist, die es betrifft.

Also hat sich Florian David Fitz als Autor entschlossen, dem Problem der Menschen, die sich geschlechtlich im falschen Körper fühlen, einen Film zu widmen. Äußerlich eine Komödie, aber mit unendlicher Sorgfalt, nichts von dem zu vergessen, was heute als „Vielfalt“ angeboten wird. Die Anstrengung, alles richtig zu machen, spürt man geradezu.

Fitz hat die Regie dem türkisch-kurdisch-stämmigen Regisseur Hüseyin Tabak überlassen, der sich schon mit „heiklen“ Themen bewährt hat. Er selbst spielt aber die Hauptrolle, einen von mannigfaltigen Problemen sehr geplagten Polizisten, und er tut sein Bestes, den Kitsch seines Drehbuchs als Darsteller einigermaßen in Schach zu halten.

Also: Ben ist von seiner Gattin Mira (Marie Burchard) so unwiderruflich getrennt, dass sie von ihrem nächsten Gefährten, dem Südamerikaner Diego (Juan Lo Sasso, ein Softie-Goldstück wie aus dem Bilderbuch) hoch schwanger ist. Die gemeinsamen Kinder mit Ben, der neunjährige Oskar (Laurì) und Erna, noch im Kindergartenalter (Ava Petsch), leben bei Mutter und neuem Freund, bis Mira wegen vorzeitiger Wehen ins Spital muss. Da holt Ben schleunigst seine Kinder ab, ohne genau zu bedenken, dass er als Polizist im Schichtdienst eigentlich gar keine Möglichkeit hat, sich in dem notwendigen Ausmaß um sie zu kümmern.

Glücklicherweise hat er in Seyit (Kida Khodr Ramadan, mit seinem markant-eckigen Gesicht immer für gute oder auch böse Türken zuständig, auch wenn er von der Abstammung her Libanese ist) einen Streifenwagenkollegen, der ihn bei vielen Problemen, die nun auf ihn zurasen, deckt.

Denn zwei Kinder dieses Alters allein, die versorgt und in Kindergarten und Schule gebracht und abgeholt werden wollen, wäre schon zu viel. Aber dass Oskar, wie der Vater nun erst erfährt, „Lilli“ genannt werden will und darauf besteht, sein gelbes Lieblingskleid zu tragen – das überfordert, das kapiert „ein richtiger Mann“ wie Papa eigentlich nicht. Das muss er allerdings nach und nach, denn Oskar / Lilli bleibt stur. Bis Papa begreift, dass (wenn es denn so ist) der Fehler bei ihm liegt – er muss es akzeptieren, zulassen, helfend da sein. Sehr schön Bens Ausflug zu einem ältlichen Transvestiten (eine große Szene für eine gelassene Georgette Dee), der ihm beibringt, dass die Mitwelt sich in solchen Fällen schlicht und einfach nur in Toleranz üben muss.

Um die Außenseiterproblematik noch um einen Schritt weiter zu treiben, ist Ben eigentlich Jude – Senta Berger genießt es geradezu, eine zickige jüdische Mame zu spielen, die immer eine spitze Bemerkung parat hat, und als Bens Vater gibt Burghart Klaußner einen jener widerborstigen Juden, die entschlossen sind, sich nie wieder etwas gefallen zu lassen. Die Szene in der Synagoge ist übrigens ziemlich überflüssig, trotz der köstlichen Inge Maux, weil Branko Samarowski als Rabbi leider nur wohlfeilen Blödsinn zu sagen hat und man nicht erfährt, was entscheidend ist: Wenn Oskar einen Wunsch äußern darf, der in die Klagemauer gesteckt wird – was wäre das? Im Ganzen aber ist die jüdische Schiene für die Geschichte nur eine spekulierte Draufgabe, die eigentlich nichts bringt.

Nein, es geht um Oskar. Gespielt geheimnisvoll von  „Laurì“, so androgyn, dass er / sie Bub oder Mädchen sein könnte. Nach langem Suchen findet man im Internet den Hinweis „Laurì is a German actress“, falls sie dieses Geschlecht haben will, das Alter ist nicht feststellbar, wohl aber die stur-entschlossene Miene zu beobachten, mit der sie ihren Anspruch durchsetzt, Mädchen zu sein…

Hat man früher Probleme abgeschüttelt, so besteht die einzige Tendenz nun darin, sich selbst auf jeden Fall erst einmal schuldig zu sprechen und a priori die Verantwortung auf sich zu nehmen, wo etwas schief läuft. Wobei der Begriff gar nicht mehr erlaubt ist – was vom „Normalen“ abweicht, ist nicht anders, denn „normal“ gibt es nicht mehr, sondern nur zahllose Spielarten des Möglichen. Verstanden. Grundsätzlich noch mal: Wir sind schuld.

Trotzdem ist es nicht der sture Oskar (die sture Lilli), mit der man am meisten Mitleid hat, sondern der Ben, den Florian David Fitz atemlos durch sein Schicksal schleudert (selbst schuld, er hat das Drehbuch ja geschrieben). Dass er gerade als Polizist zu Macho-Gehabe neigt, ist verständlich – den Lernprozeß in die andere Richtung macht er sympathisch glaubhaft. Gerade seine durchaus ungeschönte Figur sorgt dafür, dass aus dem Film eine kleine, teilweise doch auch heitere Tragikomödie wird.

Was hingegen aus Oskar / Lilli wird? Das wissen die Götter. Umgekehrte Fälle, von Frau zu Mann (Erika / Erik Schinegger, Jutta / Juilan Schutting) sind bekannt. Leicht haben sie es alle nicht. Toleranz ist angesagt – solange sicher ist, dass hier nicht nur ein Modetrend bedient wird. Übrigens: ein Weihnachtsfilm „für die ganze Familie“ ist das, dem Starttermin  zum Trotz, wohl nicht. Dazu ist die ganze Sache zu kompliziert und anspruchsvoll.

Renate Wagner

 

Diese Seite drucken