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Film: OPPENHEIMER

19.07.2023 | FILM/TV, KRITIKEN

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Filmstart: 20. Juli 2023 
OPPENHEIMER
USA  /  2023  
Drehbuch und Regie: Christopher Nolan
Mit: Cillian Murphy, Matt Damon,  Robert Downey Jr, Emily Blunt u.a.

Was kann man von Christopher Nolan erwarten? Schlechtweg alles. Düstere Batman-Versionen. Einen tragischen Kriegsfilm („Dunkirk“). Filme, bei denen einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird („Inception“), bis man sie dann gar nicht mehr versteht („Tenet“). Und nun ein Biopic – allerdings keines der üblichen Art. Man muss schon sehr wach sein, um der biographischen Erzählung von J. Robert Oppenheimer, dem „Vater der Atombombe“, in Nolans dreistündiger Version zu folgen.

Oppenheimer (1904-1967), Nachkomme von in die USA eingewanderten deutschen Juden, ein zweifellos genialer Wissenschaftler, der seine Ausbildung als Physiker in der turbulenten Zwischenkriegszeit auch in Europa unter den bedeutendsten Forschern seiner Zeit erfahren hat, ließ sich von der amerikanischen Regierung anheuern, als Gegengewicht zu Hitlers drohender „Wunderwaffe“ die Atombombe zu entwickeln.

Man stellte ihm für das so genannte „Manhattan Project“ in Los Alamos, in der Wüste von New Mexico, schier unbegrenzte Mittel zur Verfügung. Oppenheimer als Kopf eines riesigen Teams schaffte es, und nur kurz nach der erfolgreichen Zündung der ersten Atombombe warfen die Amerikaner sie über Hiroshima und Nagasaki ab. Das beendete den Krieg.

Oppenheimer war aber dann nicht der Held, den man erwarten konnte, ihn quälte das Gewissen, dass durch seine Bombe rund eine Viertelmillion unschuldiger Menschen gestorben war. Um ihn von aller weiteren Regierungsarbeit fern zu halten, begann eine sagenhafte Hetzjagd auf ihn, um ihn als Kommunisten und sogar russischen Spion zu verunglimpfen.

Das ist der Punkt, wo Christopher Nolan mit seinem Drehbuch (das er nach der, wie es heißt, minutiösen Biographie von Kai Bird und Martin J. Sherwin, selbst schrieb) einsetzt. Ohne Rücksicht auf ein Kinopublikum, dem vermutlich das meiste Detailwissen zu dieser Causa fehlt, springt er zwischen den feindseligen Verhören und bunt gemischten Szenen aus Oppenheimers Vergangenheit hin und her.

 Sicher ist, dass Nolan keine Heldenstory beabsichtigt hat – und auch keine Opfergeschichte. (Der Antisemitismus spielt nur am Rande eine Rolle.) Wohl aber die Kritik an amerikanischem Vorgehen, einen Mann, der gerade noch Titelbildstar und Held der Nation war, möglichst nachdrücklich zu vernichten, weil er nicht die erwartete Kriegshetzer-Rolle spielte, sondern sich der Gefahr der Atombomben (das „Gleichgewicht der Zerstörungskräfte“ im folgenden Kalten Krieg) wohl bewusst war.

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Wenn Nolans hektisch geschnittener Film im Lauf der Zeit in etwas ruhigeres Fahrwasser und übersichtliche Diskussionen eintritt, dann erfährt man, wie die Amerikaner den Einsatz der Bombe rationalisiert haben – und da trifft der Film ein aufmerksames Publikum von heute natürlich voll in den Verstand: Denn auch heute haben alle Seiten Atombomben, und man weiß nicht, ob es nicht gewissenlose Kräfte gibt, die irgendwann einmal bereit sein könnten, ohne Rücksicht auf Verluste den „roten Knopf“ zu drücken… Was Oppenheimer geschaffen hat (und neben ihm viele andere Physiker dieser Zeit in Deutschland und Russland), ist heute nicht mehr rückgängig zu machen. Aber Nolans Film predigt das nicht ausgesprochen, er lässt einen selbst darauf kommen.

Dafür, dass er sich mit drei Stunden doch sehr viel Zeit nimmt, lässt Nolan doch einiges offen. Man erfährt beispielsweise nie genau, worin sich die Abneigung gründete, die Kollege Edward Teller gegen ihn empfand, noch weniger, warum der amerikanische Politiker Lewis Strauss dermaßen tückisch und persönlich hinterhältig daran arbeitete, Oppenheimer zu vernichten.

Auf die Details der physikalischen Forschungen und Erkenntnisse (immer wieder von blitzenden Bildern des Universums unterbrochen) lässt sich Nolan nicht ein, was vernünftig ist, da ohnedies höchstens ein Promille der Kinobesucher sie verstehen könnten. Leider wird auch die Arbeit in Los Alamos nur mehr oder weniger andeutungsweise gezeigt. Die Ehegeschichte des Physikers wird als kompliziert angerissen, aber wirklich Genaues erfährt man nicht. Sehr viel Puzzlewerk fügt sich nicht immer zum ganzen Bild.

Dennoch ist der Film faszinierend – voran in der Machart. Die „Oscars“ für den besten Schnitt (Jennifer Lame) und die beste Musik (Ludwig Göransson), die das Geschehen ungemein dramatisch weiter treibt, sollte der Film schon in der Tasche haben.

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Wohl auch für den besten Hauptdarsteller, denn Cillian Murphy zeichnet Oppenheimer weit entfernt von jeder Genie-Pose, sondern eigentlich als Getriebenen, der tut, was man von ihm erwartet, weil er es kann, und letztlich doch daran verzweifelt (was er ohne besonderes Pathos mitteilt). Die beste Nebenrolle muss unzweifelhaft an Robert Downey Jr. gehen, den man unter der Maske des Lewis Strauss erst auf den dritten Blick erkennt – und der in seiner politischen Glätte und der „Unlesbarkeit“ seiner Aktionen schlechtweg fasziniert.

Wer diese Kitty Oppenheimer eigentlich war (wenn man es richtig verstand, war es bereits ihre vierte Ehe) macht das Drehbuch nicht ganz klar. Emily Blunt zeichnet sie als unsichere, aber zweifellos sehr kluge Frau, viel kantiger in ihrem Verhalten als ihr Mann. Völlig klar wird hingegen die Figur des Militärverantwortlichen für das Atombombenprojekt in der ruhigen Entschlossenheit von Matt Damon. Als Edward Teller versprüht Benny Safdie all die Abneigung, die ein Wissenschaftler gegen den anderen empfinden kann. In minutenkurzen Rollen tauchen bekannte Gesichter auf. Kenneth Branagh als Niels Bohr, Matthias Schweighöfer als Werner Heisenberg. Mehr Zeit hat Tom Conti für mehrere Szenen als greiser, weiser Albert Einstein, Präsident Truman wird einem in Gestalt von Gary Oldman nicht eben sympathisch.

Dennoch ist die Personenfülle, zu der Nolan meist unzureichende Erklärungen bietet (man könnte ja auch ein bisschen an das Publikum denken, das da andächtig im Kino sitzt), eine der Schwächen des Films, und anfänglich wirkt die hektische, durcheinander gewirbelte Erzählweise fast affektiert. Aber im Lauf der Zeit kommen der Regisseur und der Zuschauer in die Geschichte hinein, und man kann sagen, dass es hier um eine facettenreiche Persönlichkeit und um eine leider immer gültige Problematik geht, die hier auf hohem Niveau abgehandelt werden.

Renate Wagner

 

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