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Film: NOMADLAND

26.05.2021 | FILM/TV, KRITIKEN

filmplakat nomadland

Filmstart: 27. Mai 2021   NOMADLAND
USA / 2021
Drehbuch und Regie: Chloé Zhao
Mit: Frances McDormand, David Strathairn u.a.

Wenn Fern von Zeit zu Zeit gezwungen ist, sich bei Behörden zu melden (meist in Nachfrage nach einer Gelegenheitsarbeit), wird sie nach ihrer Adresse gefragt. Sie hat keine, meint sie, und die Beamten nehmen das als „homeless“. Nein, sagt Fern, sie sei nicht homeless, sie sei nur „houseless“, das ist nicht dasselbe. Denn der alte Camper, mit dem sie durch die USA trampt (wenn es je ein Roadmovie gab, dann dieses) ist ihr Zuhause.

Das ist die Voraussetzung für den so vielfach preisgekrönten Film der jungen Regisseurin chinesischer Abstammung Chloé Zhao, die sich diese Geschichte aus einer amerikanischen Subkultur ausgedacht und durchaus beeindruckend realisiert hat. Ob der Film so großartig ist, wie alle Statuetten, die er erhielt, beweisen wollen, ist allerdings nicht unwidersprochen. Schließlich ist Chloé Zhao doch allzu deutlich auf einen Zug aufgesprungen, der aus politischer Korrektheit sich nun jenen Minderheiten zuwendet, die eine bürgerliche Mittelschicht gar nicht wahrnehmen will. Gut gemeint wird da schon auf jeden Fall als gut genommen. Immerhin – eine Sozialschnulze ist es glücklicherweise doch nicht geworden.

Wobei außer der Vorhersehbarkeit der Geschichte nichts dagegen zu sagen ist, nicht zuletzt, weil sie von Frances McDormand getragen wird. Das reizlose, verkniffene, unsentimentale Gesicht unter so kurz geschnittenem Haar, dass es keinen Friseur braucht, sondern nur eine Schere, geleitet uns durch den Film, nimmt uns mit auf eine traurige, „unsentimental Journey“ jener, die nichts vom Glück des Lebens abbekommen haben. Ob die Freiheit im Van Fern etwas von ihrem verlorenen Leben ersetzt… über Gefühle wird nicht viel gesprochen.

Dass Fern nicht die Einzige ist, die dieses bewusste Herumziehen (in diesem Fall durch Amerikas nicht mehr wilden Westen) zu ihrer Lebensform gemacht hat, wird in vielen Passagen der Handlung aufgearbeitet. Dabei redet Fern selbst sehr wenig. Aber sie ist eine gute Zuhörerin, und sehr viele der – ebenfalls aus dem untersten Gesellschaftssegment stammenden – Menschen, denen sie begegnet, wollen sich gern ihr Elend von der Seele reden. So erfährt man eine Menge.

Fern zieht also herum. Von Ort zu Ort sucht sie sich Jobs, um sich über Wasser zu halten. Besonders einprägsam für den Kinobesucher ist ihre Station bei Amazon, hat man doch schon ausreichend über die verheerenden Arbeitsbedingungen dort gelesen. Ja, die armen Schweine, die da im Akkord Pakete machen, brauchen das Geld so dringend, dass sie alles auf sich nehmen, sich alles gefallen lassen. Fern putzt auch, erledigt Hilfsarbeit in Küchen, „ich arbeite gern“, versichert sie, aber es ist keine Arbeit, die man gern ausführt (und nicht einmal ganz leicht zu bekommen).

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Im übrigen zieht sie sich in den Van zurück, ihre Lebenswelt, wo sie wäscht und kocht, isst und schläft. Die Einsamkeit des Herumziehens legt sich beklemmend von der Leinwand in den Kinozuschauerraum. Und doch – die Einladung ihrer Schwester (später im Film), in die Normalität zurück zu kehren, nimmt sie nicht an.

Manchmal fährt sie auch in Parks ein, wo andere „Nomaden“ ihres Zuschnitts mit ihren Vans Station machen. Da wird auch ganz schön herumgestänkert, gegen den Kapitalismus hat man vor allem deshalb etwas, weil man selbst nichts davon abbekommt. (Hier hat die Regisseurin auch, ohne dass es auffiele, „echte“ Nomaden in ihren Film gepackt,) So gewinnt die Geschichte im Vorüberziehen immer wieder Farbtupfer des Elends, manchmal gibt es auch ein bisschen Herzlichkeit unter Fremden.

Warum Fern unterwegs ist und dem „normalen“ Leben davon läuft, wird nur andeutungsweise klar, aber das macht nichts, man braucht die Geschichte eines Menschen, der im allgemeinen wirtschaftlichen Zusammenbruch offenbar fast alles verloren hat, nicht im Detail kennen. Denn wo man auf die Erinnerungsschiene gerät, besteht ja doch die Gefahr, kitschig zu werden. Natürlich ist auch der „Trost durch die Natur“ (Fahrt durch die ewige Landschaft, im Hintergrund plätschert die Filmmusik) vielleicht ein wenig banal. Aber – so oder so ist das Leben. Und die Regisseurin wirft einen bemerkenswerten Blick darauf.

Am Ende hat man ein Schicksal erlebt, so sachlich erzählt, dass es fast Dokumentarcharakter zu haben scheint. Das Lob, für Chloé Zhao ist letztendlich berechtigt: Sie hat nicht versucht, aus dem Elend spektakuläres Kino zu machen, sondern diesem so ehrlich wie möglich nachzuspüren, Sie mache nicht bloß Filme, sagte sie in einem Interview, sie müsse „in love“ sein mit ihrem Thema, sie müsse so viel darüber erfahren wollen wie möglich. Und das glaubt man ihr gerne.

Renate Wagner

 

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