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Film: NOBADI

30.09.2019 | FILM/TV, KRITIKEN

Filmstart: 4. Oktober 2019
NOBADI
Österreich / 2019
Drehbuch und Regie: Karl Markovics
Mit: Heinz Trixner, Borhanulddin Hassan Zadeh u.a.

Mit davor zwei Filmen als Regisseur hat sich Karl Markovics über seine exzellenten darstellerischen Qualitäten hinaus auch als Filmemacher einen bemerkenswerten Ruf erworben. Entsprechend groß war das Interesse an seinem dritten Film, für den er auch ein Thema gewählt hat, wie es aktueller – und in den Zeitgeist passender – nicht sein könnte.

Alter Nazi, junger Flüchtling. Nur dass nicht die übliche Gutmenschenvariante gewählt wird, wenn der alte, einsame Heinrich Senft (knorrig, hart und mit den Widersprüchen seiner Rolle kämpfend: Heinz Trixner) sich den jungen Afghanen, der in seiner Heimat „Nobadi“ genannt wurde (Borhanulddin Hassan Zadeh – sympathischer kann man nicht sein), in seinen Schrebergarten mitnimmt, um mit dessen Hilfe seinen Hund zu begraben. Und auch noch – um möglichst wenig Geld – seinen Garten richten zu lassen.

Da der Afghane hervorragend Deutsch spricht (in seiner Heimat war er in einem UNO-Lager für die Deutschen tätig), steht der verbalen Kommunikation nichts im Wege, wenn da auch die Unfreundlichkeit des alten Österreichers gegen den hilflosen Flüchtling schmerzlich klar wird. Aber nicht unglaubwürdig. Das kommt allerdings sehr bald – geradezu als „Zumutung“ auf den Zuschauer zu. Allerdings anders, wie es Markovics in vielen Interviews geschildert hat.

Natürlich will uns Karl Markovics etwas über Verantwortung sagen. Die Verantwortung des Menschen für seinen Mitmenschen, auch wenn er nicht derselben Familie, demselben Volk angehört. Aber weil ein solches Thema im Rahmen eines Films nun wirklich nicht ausdiskutiert werden kann, muss man sich an die emotionale Seite halten. Und wenn dann ein Flüchtling wie dieser so auf Anhieb sympathisch, jung, gescheit und un-aggressiv ist, so gut Deutsch spricht und – das schmerzt einen in der Seele – so sehr gelernt hat, sich zu ducken und nicht zu widersprechen, um nicht aufzufallen und expediert zu werden… das zerreißt einem schon das Herz. Da versteht man Leute wie die Hartmanns (in dem Verhoeven-Film), die sich unbedingt einen Flüchtling ins Haus holen („zulegen“) wollen („Kann man sich da einen aussuchen?“ – am Ende wie im Tierheim?).

Kurz, im Kino und in den Medien trifft man immer auf die wunderbaren Menschen. („Ich will bitte einen solchen wie bei Markovics!“) Gibt es keine berechtigten Zweifel, an die „anderen“ zu geraten (wie unter Landsleuten auch)? Und schon kommen Zweifel daran auf, wie letztendlich manipulativ und vereinfachend Markovics uns sein Problem nahe bringen will.

Die Interaktion zwischen dem alten, misstrauischen Mann und dem hilflosen Flüchtling vereinfacht Markovics zwar keinesfalls, aber mit der Psychologie hapert es: Dass der Alte, der eigentlich froh ist, den jungen Arbeiter wieder loszuwerden, sich plötzlich dessen annimmt und sich geradezu aufopfernd um den Kranken kümmert – man glaubt es nicht.

Und dann nimmt das Drehbuch eine Wendung, die der Regisseur einfach nicht verkaufen kann. „Ich weiß, dass ich von Zuschauern sehr viel verlange“, sagte Markovics in einem seiner vielen Interviews zu „Nobadi“, aber er verlangt vor allem Blauäugigkeit für eine Story, deren Glaubwürdigkeit ebenso hinkt wie ihre Aussage.

Der Flüchtling hat sich das Bein verletzt. Unser Alter war einmal Sanitäter „in einem Lager“ (ob es ein Vernichtungslager war oder „nur“ ein Lager, wo man Menschen sterben ließ, wird nicht gesagt). Markovics hat mit Absicht keinen Arzt aus ihm gemacht, sonst wäre dieser Schrebergarten-Mann ja ein Intellektueller, und das würde eigentlich nicht passen.

Dieser Film ist kein Krimi, sondern ein Lehrstück, man muss also keine Angst vor Spoilern haben, zumal ja auch Wikipedia die Handlung schildert. Der Flüchtling hat keine Papiere, will nicht ins Spital. Der alte Mann will die Tierärztin seines verstorbenen Hundes zwingen, den Jungen zu verarzten. Sie weigert sich – er bringt sie um. So mir nichts, dir nichts, einfach um ihr seinen Willen aufzuzwingen. Da übertreibt er halt mit der Gewalt. Aber er bricht nicht etwa in die Knie, wie es jeder normale Mensch täte, dem ein Mord aus Zorn „passiert“, sondern stopft ungerührt die Tasche mit Medikamenten voll (offenbar kennt er sich in der Praxis gut aus?) und bringt den Jungen wieder zu sich ins Schrebergartenhaus.

Und dort, höre und staune, geht er daran, zu dessen Rettung (Wundbrand vermutlich), dessen Bein abzuschneiden – und hat für diese Operation nicht nur eine elektrische Säge, sondern auch Material für eine Bluttransfusion bei der Hand. Außerdem muss sich hier noch die Aussage verdichten. Interessanterweise hat der alte Mann, der uns nicht verrückt, aber doch eher „einfach“ vorkommt (höhere Schulbildung steht da nicht dahinter), dennoch im Lager von einem kranken jüdischen Häftling eine so genaue Kenntnis der „Odyssee“ mitbekommen, dass er sie aufsagen und ihre Geschichte erzählen kann…

Nein, es erstaunt nicht, dass der „Nobadi“-Flüchtling (sprich: Nobody) sich anhören muss, dass auch Odyssseus sich bei Polyphem als „Niemand“ ausgab. Die Parallele ist zu schön. Und dass der junge Mann im Morphium-Rausch dann in seiner Muttersprache erzählt, was ihm in der Heimat Grauenvolles widerfahren ist (der Kinobesucher muss es in den Untertiteln mitlesen) – auch das riecht nach Drehbuch und Agitprop. Ja, man weiß schließlich, was hier auf die schlichtest mögliche Weise gesagt werden soll. (Peter Turrini hat es in dem Stück „Fremdenzimmer“ mit ähnlichen Mitteln, aber weniger Pathos versucht.)

Ja, und dann geht die Geschichte so schlecht aus wie irgend möglich. Tolle Symbole – der Flüchtling hat ein paar Stunden davor selbst noch die Grube gegraben, in welcher der Alte ihn verscharrt. Was hat uns Markovics am Ende gesagt? Dass das verspätete Mitgefühl nichts gebracht, schlimmer noch, zum Tode geführt hat? Sicher, jede positive Aussage der Versöhnlichkeit zwischen den Welten hätte vermutlich nur triefend ausfallen können. Aber diese?

Natürlich, die Hauptdarsteller spielen das fabelhaft. Aber muss man vor „Nobadi“ wirklich in die Knie gehen, wie die Kritik es überall tut, nur weil der Regisseur die richtige Einstellung und ein mitfühlendes Herz hat? Wenn es so einfach wäre…

Renate Wagner

 

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