Filmstart: 14. Dezember 2023
MUNCHNorwegen / 2023
Regie: Henrik Martin Dahlsbakken
Mit: Anne Krigsvoll, Alfred Ekker Strande, Mattis Herman Nyquist, Ola G Furuseth u.a.
Nicht jeder Künstler wird dermaßen mit einem einzigen Gemälde identifiziert wie der Norweger Edvard Munch (1863-1944): „Der Schrei“ ist die Ikone expressionistischer Seelendarstellung, Inbegriff malerischer Umsetzung der menschlichen Ängste. Hätte er nur dieses Bild gemalt, er wäre weltberühmt. Tatsächlich schuf er an die 1700 Gemälde, von seinen Graphiken ganz zu schweigen.
Die Kunst des Edvard Munch bietet der nach ihm benannte Film erst ganz am Ende, wenn man durch das Munch-Museum in Oslo geführt wird, von einem faszinierenden Werk zum nächsten. Bis dahin ist man mit einer der seltsamsten Künstlerbiographien der Leinwand konfrontiert, an die man sich erinnert. Dem Regisseur Henrik Martin Dahlsbakken geht es weniger um die nachvollziehbare Darstellung eines Lebens, als um Impressionen daraus, die zudem gänzlich divergierend ausfallen…
Zu Beginn erlebt man einen alten Mann (Munch hier gespielt von einer Frau (!),Anne Krigsvoll, die allerdings, wenn man es nicht wüsste, tatsächlich als Mann durchgehen könnte). An seine Tür klopfen ein paar junge deutsche Soldaten – man schreibt 1944, die Nazis haben Norwegen besetzt, Munch muss befürchten, dass sie seine Bilder mitnehmen, und wer weiß, was dann mit ihnen geschieht. Er spricht Deutsch, er hat in seiner Jugend in Berlin gelebt, sagt er, und im übrigen spielt er seine Kunst herunter – es seien nur ein paar unvollendete Bilder da, es ließe sich Malerei auch nicht mehr verkaufen. Glücklicherweise weiß der junge Mann an der Tür offenbar nicht, mit wem er es zu tun hat – er schwärmt von den Riesenfiguren des Bildhauers Gustav Vigeland, die in ihrer Gigantomanie offenbar dem Geschmack des Dritten Reichs besser entsprechen…
Der 80jährige Munch ist einer von vier Lebensstufen, die sich der Regisseur für diesen Film, den kaum etwas mit einem konventionellen Bio-Pic verbindet, ausgewählt hat. Man erlebt ihn noch 21jährig (Alfred Ekker Strande), für seine Malerei in die Natur ziehend, verliebt in die eigene Melancholie und unglücklich verliebt in die erste von vielen Frauen, dann 29jährig (Mattis Herman Nyquist) in Berlin, wo er erleben muss, dass seine Ausstellung nach wenigen Tagen unter einem Vorwand geschlossen wird, tatsächlich aber, weil die Bilder auf das Publikum zu aggressiv wirken. Der 45jährige Munch (Ola G Furuseth) sucht in einer psychiatrischen Anstalt in Kopenhagen Heilung von seiner Alkoholkrankheit und seinen schweren psychischen Leiden.
Nun verwendet der Regisseur nicht nur für jede Lebenslage einen anderen Stil – in der Jugend fühlt man sich wie in einer hellen Tschechow-Sommerfrische-Welt, Berlin ist nicht das von 1892, sondern ganz jenes von heute, wo Munch nach seinem Handy greift, und in Kopenhagen schließlich irrlichtern seine Seelenzustände wie in alten deutschen Stummfilmen, schwarz-weiß, Licht und Schatten irisierend. Und außerdem schneidet der Film dann alle Ebenen immer wieder durcheinander, dass man auch, wenn man sich im Leben des Künstlers ein kleines bisschen auszukennen meint, nicht immer weiß, wo man gerade ist – und warum.
Das Warum steht über allem. Warum die gewaltsame Einbeziehung der Gegenwart, sie macht Munch nicht einleuchtender, warum die Besetzung von Männern mit Frauen (auch August Strindberg wird von einer solchen – Lisa Carlehed – verkörpert), warum die programmierte Planlosigkeit? Gewiß, man ahnt – der Mann war über die Gebühr unglücklich. Und er hat sich dieses Unglück von der Seele gemalt und und gezeichnet.
Aber wer er wirklich war, wie sich sein Leben und sein Künstlertum entwickelt hat – hier keine Ahnung. Der Film gemahnt an Regietheater, wo der Regisseur mit seinen „Ideen“ (sich) viel wichtiger ist als das, worum es eigentlich gehen sollte (in diesem Fall ein „greifbarer“ Munch für das Publikum). Tatsache ist aber, dass inszenatorische (eitle) Kopfakrobatik nur wirkt, wenn sie wirklich überzeugt. Sonst… Regie-Kino also. Es wird eine Minorität im Kinosaal vermutlich begeistern und eine Majorität kopfschüttelnd zurück lassen.
Renate Wagner