Filmstart: 23. Dezember 2021
MONTE VERITÀ – DER RAUSCH DER FREIHEIT
Schweiz, Deutschland, Österreich / 2021
Regie: Stefan Jäger
Mit: Maresi Riegner, Max Hubacher, Philipp Hauß; Julia Jentsch u.a.
„Monte Verita“ war ein soziales und psychologisches Experiment rund um das Fin de Siècle, und da sich unter den damals ebenso mutigen wie übermütigen „Aussteigern“ auch später berühmte Namen fanden (etwa Hermann Hesse), ist das ganze Projekt im Gedächtnis geblieben. Dass die Befreiung aus einer strikt genormten Welt damals noch nicht gelingen konnte, versteht sich. Es ist eine Station in der Geschichte der verschiedenen Kommunen-Experimente.
Der Schweizer Regisseur Stefan Jäger versucht nun ein Thema, das eigentlich nach einer ordentlichen, analytischen Dokumentation ruft, als Spielfilm plastisch zu machen, an Hand eines erfundenen Frauenschicksals. Dazu bemüht er prächtiges Jugendstilambiente und rauschende Musik, ein korrekter Historienfilm, der nicht chronologisch erzählt wird, sondern oft die Zeitebenen wechselt.
Die Stimme von Hanna Leitner (Maresi Riegner) klingt aus dem Off, sie erzählt ihren Töchtern ihr Schicksal. Als alles beginnt, ist sie 1906 eine 29jährige, großbürgerliche Ehefrau in Wien, die durchaus Interesse am Beruf ihres Gatten (Philipp Hauß), eines erfolgreichen Fotografen, hätte. Das kann er allerdings nur lächerlich finden und fordert sie schroff auf, mit ihrem Leben gefälligst zufrieden zu sein. Das einzige, was er von der Frau, die bisher zwei Töchter geboren hat, noch erwartet, ist ein Sohn – dafür schickt er sie zu allen möglichen Ärzten und dubiosen Therapien.
Einer davon ist Otto Gross (Max Hubacher), eine in der Geschichte äußerst zwiespältige Persönlichkeit, drogensüchtig und als Psychiater immer geneigt, mit seinen Patientinnen ins Bett zu gehen. Immerhin gibt sich die zutiefst unzufriedene, von ihrem Gatten sexuell brutal bedrängte Hanna einen Ruck – und folgt Gross in die Schweiz, auf den Monte Verita bei Ancona, wo Ida Hofmann (Julia Jentsch) das Experiment einer „Selbstbefreiungs-Kommune“ gestartet hat. Diese gibt sich quasi als Sanatorium für seelische Gesundung, ist aber reine Ideologie – Nacktheit, Sex, Vegetarismus und alles inbegriffen, was die Welt damals schockieren kann.
Der interessante Aspekt des Films besteht darin, dass Hanna die längste Zeit durchaus als Skeptikerin gezeigt wird, die das Brimborium von orgiastischen Entfesselungs-Zeremonien um Lagerfeuer durchschaut und eigentlich bald wieder abreisen will. (es gibt wirklich viel Psycho-Geschwätz hier.) Gemüse anbauen und in lockeren Reformkleidern herumgehen, ist ja nicht so großartig.
Aber sie kann hier ihrem Hobby, der Fotografie, nachgehen, und nach und nach erlebt die Bürgerfrau, die im Korsett und mit drapierter Frisur hier ankam, den Reiz der Freiheit und Selbständigkeit. (Sich auf eine Beziehung mit einer Frau einzulassen, dazu kann sie sich doch nicht entschließen.) Und schließlich kreuzen, wenn auch nur beiläufig, interessante Persönlichkeiten auf – Hermann Hesse (Joel Basman) liest eine Art von Dada-Texten, Isadora Duncan (Eleonora Chiocchini) tanzt.
Obwohl man die Atmosphäre auf dem Monte Verita ziemlich gut nachvollziehen kann (und das bei allem optischen Nostalgie-Reiz ohne Idealisierung, im Gegenteil, durchaus in seiner Fragwürdigkeit), geht es dann doch um das Schicksal der Hanna Leitner, der ein wutschnaubender Gatte folgt, mit zwei Töchtern, die er ganz gegen die Mutter programmiert hat und denen sie in Briefen zu erklären versucht, was sie getan hat.
Schließlich ist sie ja eine Überzeugte des Monte Verita geworden, wobei Hauptdarstellerin Maresi Riegner den Film im Grunde mit wenigen Nuancen und zweifelnder Miene durchschreitet. Nur am Ende strahlt sie verinnerlicht, die Musik rauscht auf, und wir begreifen, dass aus der Zweiflerin eine Erlöste wurde. Jeder Mensch muss schließlich, so lautet die finale Weisheit und Botschaft, seinen eigenen Weg im Leben finden.
Der Regisseur bringt ziemlich deutlich zum Ausdruck, was er sagen will. Aber als besonders aufregend erscheint das Experiment Monte Verita und das Schicksal der Hanna Leitner nicht…
Renate Wagner