Filmstart: 26. Juni 2020
MONSIEUR KILLERSTYLE
Originaltitel: Le daim / US-Titel: Deerskin /
Frankreich / 2019
Drehbuch und Regie: Quentin Dupieux
Mit: Jean Dujardin, Adèle Haenel u.a.
Jeder spinnt auf seine Weise. Und Spinner sind des Kinos liebste Kinder. Schlichte Normalmenschen sind wir schließlich alle, also soll es auf der Leinwand wenigstens das Besondere geben. Allerdings geht das, was Frankreichs Quentin Dupieux (bekannt für „Schräges“) dem Publikum vorsetzt, im Kreieren einer eigenen Welt im Kopf seines Protagonisten sehr weit.
Es fängt relativ harmlos an. Ein Mann, von dem seine Frau offenbar gar nichts mehr wissen will, läuft davon. Landet in den Pyrenäen (oder sonstigem französischen Gebirge). Will sich offenbar „neu erfinden“, eine Idee, die heutzutage hoch modern ist. (Normalerweise erfüllt man sich diesen Wunsch, indem man sich in Chatrooms als jemand anderer ausgibt.) Unser Monsieur Georges ist jedenfalls ein altmodischer Typ, sonst würde ihn die hellbraune Lederjacke, die ein Wirt ihm andreht, nicht so begeistern. Weil er viel zu viel dafür zahlt, bekommt er noch eine kleine Videokamera dazu geschenkt – auch nicht up to date, heute filmt man mit dem Smartphone. Aber für Georges ist das Gerät offenbar eine faszinierende Erfahrung. Es hilft ihm, sich als Filmemacher auszugeben – das ist doch interessant? Denise, die Bardame in dem altmodischen Hotel in den Bergen, wo er hocken bleibt, ist durchaus seiner Meinung…
Nun erzählt uns der Regisseur, wie sich eines Menschen Einsamkeit manifestieren kann. Auf einmal spricht die Lederjacke, durch die sich Georges in seiner neuen Rolle definiert, zu ihm. Es sind komische und auch tragische Szenen, wenn das Ding über einen Sessel hängt und in den Dialog eintritt… übrigens auch mit der Stimme von Georges. Nun ja, denkt man, warum nicht? Andere reden mit ihren Hunden oder mit Verstorbenen. Man muss halt nur ein – wenn auch imaginäres – Gegenüber haben…
Schon da weiß man, dass das Verhalten von Georges (der kein Geld mehr hat, den Mann an der Rezeption mit Lügen füttert und sich aus dem Abfall ernährt), haarscharf am Überkippen ist. Aber wenn Denise, die Bardame, vernünftig wäre, statt von dem „Filmemacher“ fasziniert – ginge auch alles so schief? Sie sieht sich als verhinderte Cutterin, schneidet in der Nacht auf ihrem Tischgerät klassische Filme um, und ist „Mittäterin“, wenn die Dinge ausrutschen. Denn als Wahnsinnsidee taucht auf: Die eigene Wildlederjacke muss die einzige sein, andere müssen eliminiert werden… Und so setzt Georges zum „Mord“ an den Kleidungsstücken an, wo immer er sie (in grotesken Szenen) finden kann. In einer Szene betoniert er seine Beute ein, als wären es Leichen. Spätestens da weiß man: Der Mann ist verloren. Der Film auch?
Das tragische Ende kommt und verblüfft. Nur so viel – wenn Denise ihn filmt und er begeistert „Shoot me!“ ruft, kann das jemand auch missverstehen. Und dem Wahnsinn mit einer Flinte ein Ende machen. Und als Kinobesucher muss man nun entscheiden, wie viel Sinn das Ganze für einen persönlich gemacht hat.
Die Schauspieler sind ein Argument: Natürlich kennt man Jean Dujardin, einen „Oscar“-Preisträger vergisst man nicht, zumal, wenn er der erste Franzose war, der die Statuette erhalten hat. Allerdings kreiert er hier eine ganz neue Figur, die gar nicht an seinen Stummfilmstar in „The Artist“ erinnert – und die hier immer einen Hauch von Unschuld um sich trägt. Das kann man von Adèle Haenel als Denise nicht sagen. Als Komtesse in „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ hat sie sich unvergesslich ins Gedächtnis des Kinobesuchers gespielt. Hier merkt man bald, dass ihre Leidenschaft fürs Filmen und Cutten über das Normale hinausgeht. Sicher, der Film ist wohl als Satire angelegt – aber als Besessenheitsstudie macht er immer wieder beklommen.
Verrücktheit besonderer Art. Arthaus, das nicht gerade die Massen ins Kino treiben wird. Aber wer es – auf Niveau – schräg mag, mit allerlei psychopathologischen Implikationen, der wird diesen Akt des „Jacken-Killens“, auf den es hinaus läuft, zumindest interessant finden, auch wenn einem das Lachen im Hals stecken bleibt.
Renate Wagner