Filmstart: 14: März 2024
MILLER’S GIRL
USA / 2024
Drehbuch und Regie: Jade Halley Bartlett
Mit: Martin Freeman, Jenna Ortega, Bashir Salahuddin u.a.
Die Waffe Sex in Mädchenhänden
Die Geschichte ist nicht neu, nämlich die Faszination alternder Männer durch halbwüchsige Mädchen – Weltliteratur wurde die Nymphchen-Geschichte bei der „Lolita“ des Vladimir Nabokov. In unserer Zeit überschneidet sich das Thema mit #metoo und der Möglichkeit, die Frauen (zumal, wenn sie noch Mädchen sind) haben, Männer zu vernichten.
Darum geht es bemerkenswert dicht und überzeugend in „Miller’s Girl“, einem Film, der nur einen Fehler hat – dass er stellenweise bis zum Semi-Plagiat einem anderen gleicht. 2019 hat „Submission“ mit Stanley Tucci dieselbe Geschichte erzählt – ein Literaturprofessor, eine besonders begabte Studentin, die ihm Avancen macht und ihn, als er die Beziehung beendet, mit ihrer Anklage wegen sexuellen Mißbrauchs ruiniert. Nun, Martin Freeman als Literaturprofessor Jonathan Miller in Jade Halley Bartletts Film „Miller’s Girl“ widersteht mit aller Kraft den Angeboten von Cairo Sweet – aber das nützt ihm auch nichts. Auch er wird von ihr (man weiß ja, wozu verschmähte Frauen fähig sind) angeklagt und seiner Existenz beraubt… Und weil das Thema Lehrer / Schülerin (oder umgekehrt, nicht immer gibt es ein Happy End wie im Fall Macron) ein ewiger Topos ist, kann man dergleichen immer wieder erzählen.
Interessant ist in diesem Fall, dass eine Frau – Jade Halley Bartlett – für Drehbuch, Regie und Produktion verantwortlich ist, die Geschichte liegt ihr offenbar sehr am Herzen, und sie steht nicht auf der Seite der Frau. Sie malt das Leben auf einer High School in Tennessee zuerst aus der Sicht des Lehrers – Jonathan Miller hat, wie mancher, einen Roman geschrieben, aber als er nicht weiter und weiter literarisch produzieren konnte, ist er wie viele im Lehrberuf gelandet. Das Privatleben mit seiner zynischen Gattin (Dagmara Domińczy) ist keine Freude, beim Lehrerkollegen (Bashir Salahuddin) kann man die seelischen Spannungen mit Scherzen ein wenig abbauen, und im übrigen sind da die Schüler, immer dasselbe.
Und dann ist da die eine, die in ihren Arbeiten wirkliches Talent zeigt – und die sich mit zielgerichteten Aktionen in das Bewusstsein und nach und nach in das Leben des Lehrers katapultiert. Was sie teils bewusst mit ihrer Freundin (Gideon Adlon) bespricht, aber dann so weit treibt, dass diese sich geradezu entsetzt abwendet…
Cairo Sweet wird von Jenna Ortega gespielt, etwas älter als die 17 Jahre, die sie glaubhaft macht. Sie wechselt faszinierend die Gesichter – noch kindlich (was man heute mit 17 kaum mehr ist) bis zur entschlossenen, vor Sinnlichkeit platzenden Verführerin. Der Trick des Films besteht darin, dass es diese Szenen gibt – allerdings nur in Cairos Phantasie, die eine Kurzgeschichte im Henry-Miller-Stil verfasst und dort ihre Wünsche auslebt. Und man glaubt ihr, dass sie vor Wut durchdreht, als sie ihr Ziel im wahren Leben nicht erreicht…
Aber es ist der Film des Martin Freeman, jenes Schauspielers, den man vor allem als Hobbit, den kleinen Mann, in Erinnerung hat, der in den „Sherlock Holmes“-TV-Filmen mit Benedict Cumberbatch als Dr. Watson allerdings unerlässliche Farbe mitbringt, aber selten eine so zentrale Rolle erhalten hat wie diese. Freeman spielt den bedrückten, erfolglosen, aber jedenfalls anständigen und auch klugen Mann, der versucht, dem sexuellen Ansturm (der ihn aufwühlt) zu widerstehen, mit faszinierender Gefühlsnuancierung, lässt aber keinen Zweifel daran, dass sein Jonathan Miller ein Loser ist, der auch hier unterliegen wird. Die letzte Szene zeigt ihn, auch optisch verändert, als gänzlich gebrochenen Mann: Ihm dabei zuzusehen, ist für Kinobesucher, die für schauspielerische Leistungen zu begeistern sind, allerdings ein Vergnügen der nicht alltäglichen Art.
Noch einmal, es ist der Film einer Frau. Und in einer Zeit, wo die Waffe Sex vor allem in männliche Hände gelegt wird, kann man durchaus auch einmal die andere Seite der Medaille betrachten.
Renate Wagner