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Film. MEMORY

Eine See von Qualen…

10.10.2024 | FILM/TV, KRITIKEN

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Filmstart: 10. Oktober 2024 
MEMORY
USA, Mexiko  /  2023
Drehbuch und Regie: Michel Franco
Mit: Jessica Chastain, Peter Sarsgaard, Brooke Timber, Jessica Harper u.a.

Eine See von Qualen…

Memory bedeutet Erinnerung. Sie, Sylvia, hat zu viele davon, die sie schmerzen, weshalb Jessica Chastain auch mit geradezu tragischer Verbissenheit und Verschlossenheit durchs Leben geht. Er, Saul, hat zu wenig – denn er leidet an einer frühen Form von Demenz, erinnert sich an manches, nicht alles, auch nicht an Dinge, die eben erst geschehen sind. Peter Sarsgaard, tapsig, freundlich, hilflos, wüsste wirklich nicht zu sagen, ob er einst, an der High School, die um ein paar Jahre jüngere Sylvia zu unangemessenen Aktionen gezwungen hat, wie sie ihm vorwirft…

Keine gute Ausgangssituation für ein Paar, das ein Liebespaar werden soll (und wird), und der mexikanische Regisseur Michel Franco macht es ihnen und dem Publikum nicht leicht. Man erinnert sich, wie er 2021 in dem Film „Sundown – Geheimnisse in Acapulco“ Tim Roth zu einem grausamen Abnabelungstrip von seiner Familie geführt hat, den man nicht immer nachvollziehen konnte. Auch hier versteht man nicht alles – aber des Regisseurs Wahn hat Methode. Es gibt viele scheinbar sinnlose Szenen in einem glanzlosen New York, die zu nichts führen – Sylvia in der U-Bahn, im Park, auch mit der banalen Familie ihrer Schwester, Aber man spürt immer, wie schwer das Leben für sie ist.

In diesen Alltag, den sie mit ihrer halbwüchsigen Tochter Anna (Brooke Timber mit sehr viel Gefühl) führt, tritt nun Saul. Wie geht Sylvia, die Ex-Alkoholikerin, von der ihre Mutter (souverän: Jessica Harper) durchaus bedauernd wenig Gutes zu sagen weiß, mit dieser Herausforderung um?

Handlungsmäßig einigermaßen zersplittert, wird die Beziehung aufgebaut, schmerzliches Hin und Her (weil auch die Umwelt eingreift, darunter Sauls durchaus besorgter Bruder Isaac (Josh Charles). So gnadenlos, wie das angelegt ist, verwundert fast, dass der Regisseur doch noch eine Art von Happyend andeutet… wenngleich man ahnt, wie Sylvias Erinnerungen (es wird auch noch Mißbrauch durch ihren Vater angedeutet) und Sauls schwindendes Gedächtnis für dieses Paar keine roten Rosen wird regnen lassen…

Man weiß, dass Filme um psychisch Kranke immer preisverdächtig sind. Zwar hat Michel Franco selbst für seinen Film beim Festival von Venedig 2023 keine Preise heimgetragen, aber Peter Sarsgaard wurde als bester Darsteller ausgezeichnet. Er hat es verdient.

Empfehlen kann man den Film allerdings nur Leuten, die bereit sind, sich in die denkbar quälendsten Probleme anderer Leute geradezu hineinzufressen…

Renate Wagner

 

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