Filmstart: 22. November 2019
MARRIAGE STORY
USA (Neftlix) / 2019
Drehbuch und Regie: Noah Baumbach
Mit: Scarlett Johansson, Adam Driver, Laura Dern, Ray Liotta, Alan Alda, Julie Hagerty u.a.
Nein, eine Ehegeschichte ist es nicht, die man hier sieht, weit eher eine Scheidungsgeschichte. Und viel mehr als „nur“ ein Fernsehfilm. Netflix steckt so viel Geld und große Besetzungen in viele seiner Produktionen, dass die Idee ziemlich nahe lag, damit auf Festivals und schließlich ins Kino zu gehen. Nicht jeder will ein Fernseh-Abo, aber einzelne Produktionen haben Leuchtkraft genug, um im Kino zu reüssieren: Martin Scorseses „Irishman“ (mit Robert De Niro) oder „Marriage Story“ von Noah Baumbach mit Scarlett Johansson. Wobei die US-Presse vermutete, dem Regisseur (auch Drehbuchautor und Produzent) sei die herz- und auch nervenzerreißende Geschichte einer Trennung so überzeugend gelungen, weil er sie im wirklichen Leben am eigenen Leib empfunden hat…
Nicole und Charlie sind Künstler, sie Schauspielerin, er Regisseur, der in New York Off Broadway seine eigene Truppe hat, mit der er experimentelle Produktionen auf die Beine stellt (was sehr viel Geld verschluckt). Nicole, die einst die reelle Chance hatte, ein großer Fernsehstar zu werden, hat sich entschlossen, lieber in Charles’ Theaterproduktionen dabei zu sein. Sie haben auch einen kleinen Sohn.
Als er acht Jahre alt ist, zerbricht die Ehe. Woran? Auch an einem Seitensprung seinerseits, vielleicht. Vor allem aber daran, dass der Mann das gemeinsame Leben bestimmt und gar nicht auf die Idee kommt zu fragen, ob das der Gattin auch recht ist. Nicht, dass er ein übler Kerl wäre, überhaupt nicht. Und sie schwenkt auch keine Selbstverwirklichungs-Feministenfahne, als sie mit Söhnchen Harry zurück zu Mutter (Julie Hagerty als schreckliche Kalifornien-Pflanze) nach Los Angeles zieht, denn die Fernsehrolle, die sie da spielt, bringt zwar viel Geld, scheint aber kläglich…
Immerhin, es ist nicht so, dass die beiden sich nicht mehr mögen. Einen großen Teil des (ehrlicherweise muss man es sagen: mit zweieinviertel Stunden zu langen) Films dürfen Scarlett Johansson (mit chicer Kurzhaarfrisur, weit entfernt von der schönen Blonden ihrer Jugend) und Adam Driver in langen Gesprächen ihre Gefühle ausloten. Lang, ja, zu lang, aber doch von ihnen meisterhaft getragen. Aber das ist nur ein Teil der Geschichte.
Dort, wo man sich wünschte, Woody Allen würde satirisch dazwischen fahren, wird Noah Baumbach zu schwer (vermutlich angesichts eigener Leiden in solchem Fall): Da mögen zwei Menschen noch so sehr beschließen, eine Trennung friedlich miteinander auszumachen, die Umwelt wird sie den Anwälten in die Arme treiben – und damit beginnt eine wahre Hölle, nicht nur jene der unverschämt exorbitanten Honorare. Jede Kleinigkeit, die nichts bedeutet, wird ausgewalzt und hoch geputscht, ein Glas Wein, ein nebenbei gefallener Satz, auf einmal herrscht ein Höchstmaß an Druck und Feindseligkeit, dem der europäische Besucher (der dergleichen noch nicht selbst erleben musste) geradezu fassungslos gegenüber steht. Dazu kommt, dass man aus zwei Wohnorten – Los Angeles und New York – Kampfzonen und Kriegsgebiete dieser Scheidungsschlacht machen kann.
Das alles wird so aufgeheizt und so bitter, und hätte doch das Potential einer Screwball-Comedy gehabt: Einzig und allein Laura Dern als routinierte Anwältin, die für ihre Klientinnen das Optimum herauspresst, lässt schlaksig etwas von der schaurigen Komik ahnen, die da drinnen wohnt – Alan Alda als eher ratloser und Ray Liotta als gnadenloser Anwalt scheinen aus einem bitteren Leben gegriffen.
Und dazwischen, das erschüttert tatsächlich an diesem Film, steht der achtjährige Junge (Azhy Robertson). Er liebt beide Eltern (und sie ihn), ist jetzt tatsächlich zwischen ihnen hin- und hergerissen (obwohl beide sich bemühen, sich nicht unanständig zu benehmen), ein Kind, das nicht weiß, was geschieht und was es soll. Er wird zweifellos die Sünden dieser Scheidung lebenslang als Unsicherheitsfaktor in sich tragen.
Und trotz der starken, ehrlichen Elemente – ein etwas lockerer Zugriff hätte dem Ganzen gut getan.
Renate Wagner