Filmstart: 5. August 2020
Film: MARIE CURIE – ELEMENTE DES LEBENS
Radioactive / GB / 2019
Regie: Marjane Satrapi
Mit: Rosamund Pike, Sam Riley, Anya Taylor-Joy i.a.
Filmprädikat: wertvoll
Menschen sind wir alle, aber manche leisten wirklich das Besondere. In der Welt der Wissenschaft nimmt die gebürtige Polin Marie Curie einen überdimensionalen Rang ein, nicht zuletzt wegen der Folgen, die ihre Forschungen und Entdeckungen hatten: Immerhin hat sie – im Team mit ihrem Gatten – das entdeckt, was man „Radioaktivität“ nennt. Und darum belässt es die aus dem Iran stammende, vorwiegend in Frankreich tätige Regisseurin Marjane Satrapi bei ihrem Film über Marie Curie nicht allein beim „Biopic“. So, wie man heutzutage kaum mehr Ausstellungen klassischer Kunst ohne moderne „Interventionen“ sieht, so schneidet sie in die historische Handlung immer wieder Szenen hinein, die zeigen, welche Folgen die Entdeckung von Radioaktivität, Polonium und Radium hatte (von den klassischen Bildern von Atombombentests bis Tschernobyl) …
Aber eigentlich geht es um Marie, die in der Rahmenhandlung als sterbende alte Frau gezeigt wird – und in der Rückblende 1891 als Marie Sklodowska aus Warschau nach Paris kam, um ihre Studien an der Sorbonne fortzusetzen. (Ein Lob am Rande für die ungemein „echt“ wirkende Ausstattung der ausklingenden Belle Epoque.) In einer Welt, wo studierende Frauen belächelt wurden, ließ sich die damals 24jährige durch keinerlei männliche Schikanen von ihrem Weg abbringen. Es war sicher ein Glücksfall ihres Leben (ihrer beider Leben), dass sie den Franzosen Pierre Curie traf, der auf ihrem Gebiet forschte und sie voll anerkannte, den sie 1895 heiratete und der gleichberechtigt mit ihr zusammen arbeitete. Zwei leidenschaftliche Forscher eben.
Rosamund Pike spielt die Marie Curie von der jungen bis zur alten Frau, überzeugend über Jahrzehnte hinweg. Da ist Selbstbewusstsein, Leidenschaft für die Arbeit, Zuneigung zu ihrem Mann, da sind zwei kleine Mädchen, denen sie eine ordentliche, aber keine enthusiastische Mutter war (sie hat ihr ganzes Leben hindurch nicht aufgehört, die Arbeit in das Zentrum ihrer Existenz zu stellen). 1903 der gemeinsame Nobelpreis mit dem Gatten (1911 dann einer für sie allein).
Der Film durchwandert brav (man bekommt eine seriöse Nachhilfestunde) die privaten Tragödien – die lebenslangen gesundheitlichen Folgen, die aus der Arbeit mit dem Radium resultierten, 1906 der Unfalltod des Gatten (man sieht ihm zu, wie er unter eine Pferdekutsche gerät und zertrampelt wird), die Schwierigkeiten, seine Stellungen einnehmen zu dürfen, der Skandal, den man mit Wonne ausschlachtete, als sie 1911 ein Verhältnis mit einem verheirateten jüngeren Kollegen hatte… Damals ließ man die Gelegenheit zu antisemitischen Seitenhieben natürlich nicht aus.
Man erlebt sie im Ersten Weltkrieg, als sie – da schon ihre Tochter Irene an der Seite (auch Wissenschaftlerin, später auch Nobelpreisträgerin) – an der Front mit eigens konstruierten Röntgenwägen zur Rettung Verwundeter aufbrach. 1934 ist sie 66jährig gestorben, ein Opfer der Röntgenstrahlen. Alles da. Inklusive der feministisiche Aspekt, der in ihrem Leben eine so gewaltige Rolle gespielt hat.
Rosamund Pike hat in ihrem Leben viel gespielt, alles sehr ordentlich, nichts wirklich bemerkenswert. Die selbstverständliche, unspektakuläre Ruhe und Sicherheit, die sie dieser Marie Curie durch alle Lebenslagen gibt, auch dort, wo die Gesellschaft und das Schicksal sie schwer gebeutelt hat, ist eine große Leistung. Man weiß nicht, was die Zukunft für diese Schauspielerin noch bereit hat, aber man kann sich vorstellen, dass das die Rolle ihres Lebens sein könnte.
Sehr überzeugend an ihrer Seite Sam Riley als Pierre Curie, der Mann, der seine Frau immer unterstützte und bewunderte. Ihr Schicksal (immerhin mit zwei Nobelpreisen gekrönt, was damals von der Männerwelt vielfach in Frage gestellt wurde) war fraglos bewundernswert, und der Film vollzieht es so nach, dass man begreift, warum dem so war. Und auch, wenn man in der Schule in Physik und Chemie nicht geglänzt hat – ohne dass der Film primitiv belehrend werden muss, versteht man in großen Zügen, worum es auch bei den Fachlichen und nicht nur bei den privaten Entwicklungen geht. Natürlich in der gebotenen Oberflächlichkeit. Wer es genau wissen will, muss wohl eine dicke Biographie lesen.
Renate Wagner