Filmstart: 6. Dezember 2023
MAESTRO
USA / 2023
Drehbuch und Regie: Bradley Cooper
Mit: Bradley Cooper, Carey Mulligan u.a
Wer es vor Neugierde nicht aushält, bis Netflix kurz vor Weihnachten „Maestro“ sendet, der kann den Film jetzt schon im Kino sehen. Schließlich hatte Bradley Coopers Biopic über Leonard Bernstein, der auch in Wien jahrelang „unser Lenny“ war und als solcher noch in bester Erinnerung ist (1966 Falstaff, 1970 Fidelio, 1971 Der Rosenkavalier und viele Konzerte, besonders Mahler), viel mediale Vorpropaganda erhalten.
Allerdings von der drolligen Art, denn was soll man von Fragen halten wie „Darf ein Nichtjude einen Juden spielen“ oder „Ist die Nase, die man Cooper aufgeschminkt hat, nicht zu groß?“ Blödsinnig gewiß, aber mit solch künstlich aufgebauschten Diskussionen kann man heutzutage Schlagzeilen machen, die auf der ganzen Welt wiedergekäut werden.
Also: Wenn man „Bernstein“ zu Beginn des Films (in Farbe, die Frühzeit ist Schwarzweiß) als alten Mann bei einem Interview erlebt, ist man total verblüfft – das ist doch Lenny, er selbst? Bradley Cooper erreicht (wie beabsichtigt) eine verblüffendes Ähnlichkeit, mit dem Vorbild wobei er es natürlich als (begabter) Schauspieler leicht hatte, denn Bernstein war medial ungemein präsent, man konnte seine Sprache und Köpersprache bis ins Detail studieren (zumal er immer ganz natürlich „er selbst“ war, spontan, herzlich, unverfälscht).
Cooper hat angeblich auch jahrelang das Dirigieren gelernt, und folglich macht er sich in diesen Szenen trotz scheinbarer Übertreibung nicht lächerlich – man kannte den leidenschaftlichen Bernstein-Exhibitionismus, wenn er vor einem Orchester stand, die orgiastische Hingabe seiner Bewegungen. So war er eben.
Bernsteins reiches Leben biographisch zu fassen, war ohnedies ein Ding der Unmöglichkeit. Sich allerdings ganz auf die Beziehung zu seiner Frau Felicia zu konzentrieren, wie Cooper es als Drehbuchautor (gemeinsam mit Josh Singer) tat, ist aber dann nicht sehr ergiebig. In Rückblenden, Schwarz-Weiß, erlebt man Bradley Cooper nun (ebenso überzeugend wie als Alter) als den jungen, immer stürmischen ungebärdigen Lenny, der als Einspringer für Bruno Walter in eine viel beachtete Dirigenten-Karriere gestoßen wird. Denn guten Rat von „Freunden“, sich „Burns“ zu nennen, um nicht so sehr auf sein Judentum aufmerksam zu machen, verschmäht er. Und natürlich erlebt man immer wieder andeutungsweise, wie künstlerische Krisen ihn beuteln. Aber das ist nicht das Hauptanliegen des Films.
Denn da tritt auch schon 1946 (er ist 28, sie 24) die aus Chile gebürtige Tänzerin und Schauspielerin Felicia Montealegre in sein Leben – eine besonders starke Leistung von Carey Mulligan, die bis zu ihrem frühen Tod mit 56 Jahren doch über einige Jahrzehnte glaubhaft altert, wobei die kesse junge Frau, die Bernstein drei Kinder gebar, zur auch verbitterten Matrone mutiert.
Das Schicksal der beiden, die einander zweifellos über die Maßen verbunden waren, war tragisch. Einerseits, weil die zahlreichen Karrieren Bernsteins als schöpferischer Komponist und weltweit gefragter Dirigent (und später auch als Musik interpretierender Fernseh-Star) ihn so weit auffraßen, dass für seine Frau – die sich in eine würdevolle blonde Matrone verwandelte, sich selbst auf den weiblichem Hintergrund des großen Mannes reduzieren musste– kaum Zeit und Aufmerksamkeit blieb.
Außerdem war Bernstein durchaus eingestanden bisexuell und konnte von homoerotischen Beziehungen nicht absehen (im Film diskret und eher am Rande gestaltet), was eine Ehefrau vielleicht auch noch in unseren überliberalen Zeiten verletzen und, zur Akzeptanz gezwungen, demütigen würde. Das Paar trennte sich schließlich auch, aber als Felicia an Krebs erkrankte, kehrte Bernstein zu ihr zurück, und das Sterben wird in Coopers Film dann doch bis zur Peinlichkeit ausgereizt – viele Tränen werden geweint und wohl auch dem Zuschauer abverlangt.
Nebenbei werden punktuell (und natürlich willkürlich) Ereignisse eingeblendet, ja, er schreibt ein „Romeo und Julia“.Musical (wir wissen, das wird die „West Side Story“, die ihn in den Repertoires der Häuser halten wird, solange es Musiktheater gibt), anderes, weniger Populäres, wird dazwischen geschnitten, so dass man zumindest weiß (was er, wenn er älter wird, der Film bunt und seine Stimme vom vielen Rauchen immer krächziger, auch expressis verbis aussagt), dass die Musik sein Leben war, mehr als alles andere.
Und dass er Menschen im allgemeinen liebte, geradezu süchtig war nach Kommunikation, zog auch sein nächtliches zerstörerisches Party-, Drogen- und Alkoholleben nach sich. Auch ein Charakterzug, der hier vermittelt wird.
Viel mehr allerdings nicht in diesem Patchwork-Film, der hastig ein paar Stationen der Karriere einfügt und dabei immer wieder in fatalen Längen landet. Aber natürlich fühlt man, wie sehr Bradley Cooper den Mann, den er auf die Leinwand bringt und darstellt, bewundert. Auch wenn es nur Teile dessen ist, was Lenny ausmachte – „Maestro“ zeigt einen über die Maßen bemerkenswerten, ganz besonderen Menschen. Den unvergleichlichen Leonard Bernstein eben. Zumindest andeutungsweise.
Renate Wagner