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Film: LOVECUT

26.08.2020 | FILM/TV, KRITIKEN

Filmstart: 28. August 2020
LOVECUT
Österreich – Schweiz / 2020
Drehbuch und Regie: Iliana Estañol und Johanna Lietha
Mit: Luca von Schrader, Melissa Irowa, Sara Toth, Kerem Abdelhamed, Valentin Gruber, Max Kuess u.a.

Ein österreichisch-schweizer Film, in dem zwei junge Regisseurinnen, die Schweizerin Johanna Lietha und die Mexikanerin Iliana Estañol, ihr Langspieldebut geben. Für ihr Drehbuch haben sie den Max Ophüls Preis 2020 bekommen. Vermutlich für eine besondere Authentizität im Gegensatz zu den Teenie-Filmen, in denen man seine ersten Liebeserlebnisse abarbeitet, die meist so geschleckt und künstlich aus den USA daher kommen. Hier hingegen schlendern sechs junge Leute durch die „Suburbs“ von Wien (sicher jenseits des Gürtels) und reden meist, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist.

Wobei man hier gleich einen Einwand anbringen muss. Es war mutig, sich die jungen Darsteller „von der Straße“ zu holen, unbeleckt von Schauspielschule und irgendeiner Vorerfahrung und Routine. Wenn sie da so vor sich hinmurmeln und blödeln, wie junge Leute es tun (und sie durften da angeblich einiges improvisieren), dann ist das irrsinnig „echt“ – bis zur Tatsache, dass man sie nicht versteht. Denn Sprechkultur ist, zumal in den gezeigten Kreisen, ja nichts, was man von zuhause mitbekommt. (Wobei die Erwachsenen nur Nebenrollen spielen.) Wenn es dann allerdings zu Szenen kommt, in denen etwas „ausgesagt“ werden muss, es also Drehbuch-Dialoge zu liefern gibt, sind die Darsteller meist überfordert. Ein zwiespältiges Gesamtergebnis.

Drei junge Paare, jedes hat ein besonderes Problem. Am „einfachsten“, wenngleich inhaltlich enorm kompliziert, ist die Geschichte von Momo (Melissa Irowa) – warum immer betont wird, dass sie aus Russland kommt, obwohl sie eine Farbige ist, versteht man nicht ganz, wie wär’s mit den USA gewesen? Sie skypt, wie es heutzutage üblich ist, mit Alex (Valentin Gruber) – dass er eigentlich im Rollstuhl sitzt, entdeckt sie erst bei der Live-Begegnung, fühlt sich betrogen, kommt dann doch zurück, das Ganze ist irgendwie rührend. Noch rührender war die Szene mit der jungen Prostituierten, bei der sich Alex Tipps holen will, und die mit dem Problem der Initiation offenbar nicht zum ersten Mal konfrontiert ist: Sie geht ihren „Unterricht“ mit so viel Zartheit an, dass es bemerkenswert ist…

Auch einigermaßen glaubhaft ist die Geschichte von Ben (Max Kuess), der eine kriminelle Vergangenheit hat – und da er bald 18 wird und bei der nächsten Übertretung im Jugendknast landet, hat er seine Probleme, sich „benehmen“ zu müssen. Vor allem würde er es schätzen, wenn seine Freundin Luka (Lou von Schrader) etwas mehr Zuneigung zeigen würde und nicht sofort abhaut, wenn er eine solche andeutet… Denn auch wenn wir hier volle Pulle im Medienzeitalter sind – mit den Gefühlen rauft man in der Pubertät auf jeden Fall. Interessant ist hier die Szene mit dem Bewährungshelfer (Marcel Mohab), der versucht, Ben irgendwie in einen Job und in eine Art normales Leben zu bringen – um sich (auch nicht überraschend) sagen zu lassen, dass die jungen Leute eigentlich gar keine Lust haben, sich „in so ein System“ zu integrieren, das ihnen die Erwachsenen offenbar nicht erstrebenswert vorleben.

Und da ist jenes Paar, das vielleicht am typischsten ist: Jakob (Kerem Abdelhamed) fasst gleich zu Beginn des Films Anna (Sara Toth) mit einem Arm um die Taille, in der anderen Hand hält er das Handy – Selfie, anders geht es nicht in dieser Welt. Sie finden es auch lustig, sich beim Sex zu filmen, und schließlich kommt Jakob darauf, dass man damit im Internet Geld machen kann. Aber es ist Anna, die die unheimlichste Figur dieses Films ist – denn sie will immer mehr, immer zügelloser agieren, bis Jakob selbst zurückschreckt und die Schmutzigkeit des Ganzen ablehnt. Ihre Eltern (Doris Schretzmayer und Alexander Jagsch) zucken begreiflicherweise aus, als sie die 16jährige Tochter in Hardporno-Szenen sehen (und von ihr versichert bekommen, dass sie keineswegs dazu gezwungen wurde!), und bei Jakob steht die Polizei vor der Tür. Das ist das Ende, und eigentlich hängt alles in der Luft.

Wenn da noch nicht die Szene wäre, in der sich Anna im Sex-Chat mit einem unbekannten amerikanischen Alten auszieht, der beim Anblick ihres nackten Oberteile stöhnend onaniert. Vieles an dem Film hinterlässt einen unangenehmen Nachgeschmack. Und dieser Schluß ganz besonders.

Renate Wagner

 

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