Filmstart: 28. Juli 2023
L’IMMENSITÀ – MEINE FANTASTISCHE MUTTER
L’immensità / Italien / 2022
Regie: Emanuele Crialese
Mit: Penélope Cruz, Luana Giuliani, Vincenzo Amato u.a.
Es gibt unglückliche Familien, und jene, die Regisseur Emanuele Crialese auf die Leinwand bringt, ist besonders schmerzlich. Der Vater nimmt sich keine Mühe zu verbergen, wie gleichgültig ihm seine Ehefrau ist – und die drei Kinder erst recht. Lästig das kleine Mädchen, der halbwüchsige Bub, die Teenager-Tochter. Eine Verantwortung, die für die Mutter offensichtlich auch zu schwer ist, so sehr sie sich auch bemüht, alles zusammen zu halten.
Der Film nennt sich „L’Immensità“ (zu Deutsch etwa „Unermesslichkeit“) und hat für den Filmstart hierzulande als Untertitel noch „Meine fantastische Mutter“ hinzugefügt bekommen, aber man merkt bald, dass es eigentlich nur in zweiter Linie um diese geht. Eigentlich steht die Tochter im Zentrum – die „Adri“ (männliche Form) genannt werden will und nicht „Adriana“, weil sie sich als Transgeschöpf im falschen Körper fühlt. Womit das im Moment so virulente Problem, das zwar nicht viele Menschen betrifft, aber enorm aufgebauscht wird (zuletzt hatten wir „Oskars Kleid“, eine deutsche Version, auf der Leinwand), wieder einmal zum Thema wird.
Die Mutter will sich vor der Sache nicht drücken, sie aber auch nicht wirklich behandeln – man hofft ja immer, dass es nur eine vorübergehende pubertäre Entwicklung ist. Ein bockiger Teenager eben, der die Klosterschule inbrünstig hasst (was man durchaus nachvollziehen kann). Ein Mädchen, das die Freundin auf den Mund küsst – ist sie „nur“ lesbisch oder ist sie innerlich ein Mann? Luana Giuliani macht schmerzlich klar, wie schwer sie es hat. Freilich, das Ende der mühseligen Geschichte (das sie dann als Mann zeigt), kommt vollig abrupt, unterschlägt alles an Entwicklung, die dazu geführt haben mag…
Die Mutter ist die tragische Heldin. Penélope Cruz als Clara (mit hervorragendem Italienisch, nur einmal wird angedeutet, dass sie eine eingeheiratete Spanierin ist) leidet mit ihrem immer so schönen Gesicht effektiv, trägt zentnerschwer die Last der Familie, zerbricht aber vor allem an der Lieblosigkeit, gegen die sie mit allen Bemühungen nicht ankommt. Gatte Felice (Vincenzo Amato) und Schwiegermutter (Alvia Reale) sind eisenharte Monstren selbstgefälliger Hartherzigkeit. Man möchte nicht wissen, als welche Seelenkrüppel die kleineren Kinder einmal aus dieser Jugend hervorgehen werden…
Kein Wunder, dass Clara irgendwann im Nervensanatorium landet. Was sich gebessert haben soll, als sie genau so müde wie zuvor zurück kehrt, bleibt offen. Wie der Regisseur als Mit-Drehbuchautor offenbar kein Gefühl dafür hatte, wie viele Löcher er in seiner Geschichte offen ließ. Und wie unbefriedigend sein Film deshalb für den Zuschauer bleibt.
Was auffällt an dieser Geschichte, die im Rom der Siebziger Jahre spielt – wie gern man Filme in der vor-digitalen Zeit ansiedelt. Das waren noch andere Menschen als heute, ihre Geschichten lassen sich anders erzählen, wenn nicht Computer und Smartphones das Leben beherrschen. Ein Fall wie jener der Trans-Adriana würde heute durch alle Sozialen Medien shit-stormen, man wüsste gar nicht, wie man ein Problem aus Zeiten der Langspielplatte heute adäquat formulierte – eine andere Welt eben. Dennoch, auch Nostalgiker werden mit dem, was hier erzählt wird, nicht wirklich zurecht kommen.
Renate Wagner