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Film: LEIBNIZ

Die Lust am Denken

18.12.2025 | FILM/TV, KRITIKEN

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Filmstart: 19. Dezember 2025
LEIBNIZ – CHRONIK EINES VERSCHOLLENEN BILDES
Deutschland  /  2025
Drehbuch und Regie: Edgar Reitz
Mit: Edgar Selge, Aenne Schwarz. Batbara Sukowa. Lars Eidinger u.a.

Die Lust am Denken

Gottfried Wilhelm Leibniz (1646- 1716) zählt in Zeiten wie diesen wohl nicht mehr zum Bildungsgut. Er war einer der wichtigsten Gestalten der deutschen Aufklärung, ein Universalgenie mit faszinierenden Theorien, in vielen Disziplinen unterwegs, vor allem aber ein wacher Philosoph. Was wissen wir auf breiter Ebene von ihm?

Das mag sich Regisseur und Drehbuchautor Edgar Reitz gefragt haben, dessen Ruhm auf der „Heimat“-Saga der frühen Achtziger Jahre beruht, und der um dieses Zentrum seiner Arbeit nur hie und da sporadisch, aber vom Feuilleton stets hoch beachtet, hervorgetreten ist. Reitz, Jahrgang 1932, also in seinen Neunzigern, hatte schon seit annährend zwanzig Jahren den Wunsch, ein Leibniz-Projekt zu realisieren, das viele Stadien durchlief, bevor es nun seine überzeugende Form erhielt.

. Als „Aufhänger“, um den Philosophen einerseits als Menschen zu zeigen, andererseits „philosophieren“ zu lassen, nahm er die Möglichkeit, dass er – gemalt werden sollte. Eine Idee, welcher der am Fürstenhof von Hannover tätige Wissenschaftler nur zustimmte, weil es eine Bitte von Sophie Charlotte war, einst Hannoveranische Prinzessin und damals  seine kluge, grenzenlos wissensdurstige Schülerin, heute entfernt von ihm als verheiratete Königin von Preußen lebend.

Der Beginn ist – nach den Bitten einer depressiven Sophie Charlotte (Antonia Bill) an ihre Mutter, die Kurfürstin Sophie von Hannover (Barbara Sukowa) – schlechtweg humoristisch. Man hätte mit Pierre Antoine Delalande einen der berühmtesten Maler seiner Zeit engagiert, wenn das möglich gewesen wäre, denn er kam erst lange nach dem Tod von Leibniz zur Welt, aber sei’s drum. Hier ging es Reitz und Co-Drehbuchautor Gert Heidenreich nur darum, den Hochmut einer Zunft an einem berühmten Maler aufzuzeigen.

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Auftritt Lars Eidinger also, umgeben von einer Schar von Dienern, die herumkommandiert werden und sich devot ducken. Von dem Philosophen verlangt er Haltungen und Mienen, ist aber absolut nicht bereit, sich über das Wesen eines Porträts und was es im Bezug auf den „Echtmenschen“ bedeutet, auseinander zu setzen. Schließlich rauscht er genervt und beleidigt ab, weil er sich in seiner selbst ermächtigenden Großartigkeit nicht gewürdigt fühlt. Für Eidinger wieder einmal ein Gustostück seiner (in der Exzentrik am besten aufgehobenen) Schauspielkunst.

Die Kurfürstin will den Wunsch ihrer Tochter aber unbedingt erfüllen. Da erscheint ein junger schmaler Mann aus Delft, aus der Welt Vermeers kommend, der Leibniz viel besser gefällt (Aenne Schwarz, einst geschätzt im Burgtheater, wo man sie offenbar nicht mehr brauchte, mit einer zauberhaften Leistung hier). Auch als sich Aaltje Van De Meer als junge Frau herausstellt, die als solche in einer Männer-Malerwelt nicht hätte bestehen können, ist Leibniz entzückt: Erstens hält er viel von der Gleichberechtigung der Frauen, und zweitens lässt sich mit der jungen Dame nicht nur plaudern, sondern tiefschürfend sprechen, mehr noch: philosophieren. Dabei trägt die junge Malerin viel dazu bei, Leibniz von ihrer Kunst zu berichten – vom Licht, von Farben, von Positionen, von Konstellationen

Nun darf man in den Gesprächen der beiden Zeuge werden, wie Leibniz denkt und handelt, eine Psycho-Studie, zu der auch sein Diener (absolut köstlich: Michael Kranz als Liebfried Cantor) einiges beiträgt, nicht zuletzt durch seine Schilderung, wie Leibniz in Wien bei Kaiser Leopold I. von der Hofkamarilla durch alle Schikanen des Spanischen Hofzeremoniells am Habsburger Hof gezwängt wurde…

Die Gespräche, die Leibniz mit der jungen Malerin führt, geben einen Einblick in die Welt des 17. Jahrhunderts und wie man damals schon voraus denken konnte. Die Lust am Denken, die Leibniz zueigen war, überträgt sich hier – wenn man denn eine Antenne dafür hat – gänzlich auf das Kinopublikum…

Natürlich gibt es das Gemälde, um das es hier geht, nicht. Als die Nachricht von Tod Sophie Charlottes kam (sie war übrigens die Großmutter von Friedrich dem Großen), zerschneidet die Malerin verzweifelt das Bild. Nun weiß man auch, wann die Geschichte spielt, nämlich 1705, in Sophie Charlottes Todesjahr, als sie während eines Besuchs in ihrer Heimat starb.

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Es ist ein Film großer darstellerischer Leistungen, aber vor allem der Film von Edgar Selge, dem Großmeister unter Deutschlands Schauspielern. Wie der 77jährige seinen 58jährigen Leibniz unter der Allongeperücke mit Würde und Humor, Haltung und doch auch (dem ersten Maler gegenüber) ironischer Streitbarkeit auszeichnet, wie er das Denken als Lebensform verinnerlicht – das sollte man gesehen haben, wenn man etwas für große Schauspielkunst übrig hat. (Und sich vielleicht gar auch noch für Leibniz interessiert… und dafür, welche Fragen man dem Leben stellen kann.)

Es ist ein Film im räumlich engen Rahmen und filmisch geschlossener Disziplin. Man hat „Leibniz“ in der Kritik solcherart u.a. etwas von oben herab als „kleine Alterspreziose“ des Regisseurs bezeichnet. Es ist mehr – es ist ein großer Film. Dass er am Ende etwas zur Bildung mancher Zuschauer beitragen mag, ist ja nicht unbedingt ein Fehler.

Renate Wagner

 

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