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Film: INTRIGE

03.02.2020 | FILM/TV, KRITIKEN

Filmstart; 7. Februar 2020
INTRIGE
J’accuse / Frankreich / 2019
Drehbuch und Regie: Roman Polanski
Mit: Jean Dujardin, Louis Garrel, Emmanuelle Seigner u.a.

Die Franzosen sprechen nicht gerne über die „Dreyfus-Affäre“, schließlich erinnert sie daran, dass der französische Antisemitismus nicht weniger heftig war als der deutsche oder österreichische (und, um das gerechterweise auch zu erwähnen, der englische und amerikanische…). Heute ist es eine erwiesene Tatsache, dass das französische Militär im Jahre 1895 den bequemsten Weg ging, als sie einen deutschen Spion in ihren Reihen ausmachten. Sie manipulierten „Beweise“ so, dass alles auf den einzigen Juden im Corps, den ehrgeizigen Alfred Dreyfus, wies. Man verurteilte ihn, schaffte ihn auf die Teufelinsel, einen Felsen im Atlantik, und kein Mensch scherte sich weiter darum, „dass der Jude da irgendwo auf einer Insel sitzt“.

Bis auf einen Ehrenmann, Oberst Marie-Georges Picquart, der zum neuen Geheimdienstchef befördert wurde und nach und nach Indizien dafür fand, dass nicht Dreyfus, sondern der Offizier Walsin-Esterházy der Verräter war. Bestseller-Autor Robert Harris, der eine wunderbare Hand für historische Stoffe hat, ob er sich mit Cicero beschäftigt, ob mit Dreyfus, hat einen überaus spannenden Roman geschrieben – weniger über die Affäre Dreyfus selbst, wenngleich es signifikante Szenen als Rückblende gibt, als vielmehr über Picards Kampf um Gerechtigkeit.

Da tritt der Antisemitismus, der natürlich nie aus den Überlegungen verschwindet, in den Hintergrund angesichts der Mauer, die die Phalanx der militärischen Verantwortlichen bilden, angesichts der Bereitschaft der Politik, Unrecht zuzulassen (weil man den Fall ein- für alle Male erledigt haben wollte), angesichts der Gleichgültigkeit, menschlichem Elend gegenüber. Picard war im Grunde mit all seinen Vorstößen erfolglos, weil die Mächtigen nicht bereit waren, Unrecht zuzugeben – und wie heute bedurfte es der Medien, um den Fall in die Öffentlichkeit zu tragen.

So laut anklagend– „J’accuse!“ -, dass es einen Aufschrei der Öffentlichkeit gab. Man darf nicht vergessen, wie mutig das von Emile Zola war, diese Anklage in die Zeitung zu setzen: ein Jahr Haft hätte ihm gedroht, wenn er nicht rechtzeitig nach England geflohen wäre (was dieser Film nicht zeigt).

Der Fall war damit nicht erledigt: Dreyfus wurde zwar zurück geholt, im zweiten Prozeß erneut verurteilt, bis dann das Gefüge der militärischen Verschwörung langsam bröckelte und die Wahrheit ans Licht kam. Der Prozeß, den man Esterhazy machte, endete mit Freispruch. Und die ganze Affäre spaltete die Nation und wurde zum Anheizen des Antisemitismus instrumentalisiert…

All das klingt wie trockener Geschichtsunterricht, ist es aber nicht in Harris’ Roman und noch weniger in der Verfilmung von Roman Polanski (der von diesem Autor schon 2010 den Roman „The Ghostwriter“ verfilmt hat). Irgendwie hat man immer den Eindruck von Polanski als jungem Mann, aber tatsächlich ist er, Jahrgang 1933, bald 87 Jahre alt. Und doch kein bisschen alt. So straff er die Zügel dieser Geschichte hält, so wenig er sich auf Demagogie und Gehässigkeit einlässt, so sehr sprüht sein Film von Kraft, obwohl er in der reglementierten Welt des Militärs und seiner Rituale spielt und immer die Form gewahrt wird. Wie Picard Schritt für Schritt der Verschwörung gegen Dreyfus auf die Spur kommt, ist ein ungemein spannender Krimi. Der aber nie seine Aussage vergisst – nicht eine Sekunde lang.

Die Besetzung ist hervorragend: Jean Dujardin hat sich dermaßen in Picard verwandelt, dass man in ihm gar nicht den „Stummfilm-Star“ erkennen würde, der einst im Mittelpunkt der „Oscar“-gekrönten Komödie „The Artist“ (2011) stand. Entscheidend ist, dass man ihm die absolute Integrität abkauft, den Mann, der sich nicht biegen und nicht korrumpieren lässt. Es ist ein kluger Schachzug, dass Louis Garrel den verbissenen Dreyfus, seinerseits Soldat bis in die Fingerspitzen, nicht unbedingt sympathisch zeichnet – ihn durchglüht der Ehrgeiz des Außenseiters, der es um jeden Preis schaffen will. Neben den beiden eine edle Ansammlung erster französischer Schauspieler und faktisch nur eine Frau: Dass es Polanski-Gattin Emmanuelle Seigner ist, nimmt dem Regisseur sicher niemand übel. (Wie historisch sie als Geliebte von Picard ist, müsste man recherchieren, spielt aber keine Rolle.)

Der ganze Fall ist mehr als ein Jahrhundert her. Aber noch heute würde eine Institution wie das Militär vermutlich eng zusammen rücken, um Unrecht zu vertuschen, noch heute würden Politiker nach pragmatischen Erwägungen handeln und kaum vordringlich im Sinne der Rechts, noch heute würde man mit Wonne auf den „Juden“ zeigen, dem man meint, etwas vorwerfen zu können, noch heute könnten die Medien (und sie allein) bewirken, dass in gewissen Fällen eine Wendung eintritt. Das ist ein Kostümfilm, aber es ist auch ein Film von heute. Und von Polanski meisterlich inszeniert.

Renate Wagner

 

 

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