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Film: IN DEN BESTEN HÄNDEN

26.04.2022 | FILM/TV, KRITIKEN

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Filmstart:  29. April 2022 
IN DEN BESTEN HÄNDEN
La Fracture  /  Frankreich  /  2021 
Regie: Catherine Corsini
Mit: Valeria Bruni‑Tedeschi, Marina Foïs, Pio Marmaï u,a,

Gerade erst hat die Welt aufgeatmet, dass bei den letzten Wahlen Frankreich nicht in die Hände der Rechtspopulisten gefallen ist, aber die Lage der Nation ist nach wie vor gespannt und ideologisch gespalten. Da kommt ein Film, der schon 2021 in Cannes gezeigt wurde, in unsere Kinos und reflektiert genau diese Situation, obwohl die Gelbwesten-Demonstrationen mittlerweile aufgehört haben. Aber wie wild die Menschen aufeinander treffen – das zeigt sich in dieser Spitalsgeschichte, die in der Atmosphäre einer überlasteten Notaufnahme mehr Situation als Handlung bietet.

Es beginnt mit Lesben-Gezänk, die junge Julie (Marina Foïs) will sich nach immerhin zehnjähriger Beziehung von der älteren Raf (Valeria Bruni Tedeschi) trennen und ausziehen. Raf gerät in eine Demonstration, die in ihrer Bruatlität gnadenlos nachgezeichnet wird, und landet verletzt im Krankenhaus, wo sich die Streitereien mit der Freundin fortsetzen.

Aber es geht nicht nur darum: Hier sind nun die verschiedensten Typen gelandet, das Krankenhauspersonal soll die Identität der Demonstranten feststellen und weitergeben, was sie nicht tun, und ein Mann wie der  25-Tonnen-LKW-Fahrer Yann (Pio Marmaï), der eben seine Wohnung verloren hat, lässt lautstark wissen, was die Wutbürger der unteren Klasse bewegt – zumal, wenn er bei der Demo gerade einen Splitter im Bein erwischt hat, was ihm wegen Arbeitsunfähigkeit den Job kosten kann…. und dergleichen können sich arme Leute nicht leisten. Und Raf, die großbürgerliche, wehleidige geborene Egoistin, die sich wegen ihres gebrochenen Arms vor allem um ihre Zukunft als Comic-Zeichnerin sorgt und unter Schmerzen schreit, muss sich das aus erster Hand anhören, als Yann in ihr Zimmer gelegt wird. Da kommen die Klassenunterschiede – auch auf tragikomischer Ebene – zum Tragen. Dass die beiden sich nach und nach ihre Sorgen erzählen und auf einer menschlichen Ebene doch einigermaßen zusammen reden – das ist sozusagen unvermeidliche Kinodramaturgie. Ganz am Ende flüchtet Yann vor seiner Operation, um seinen Job anzutreten, wird aber zurück gebracht. Raf hat mehr Glück, als Julie sie im Rollstuhl aus dem Krankenhaus fährt (nachdem es davor schon Versöhnungsküsse gegeben hat) … symbolisch dafür, wer der Hölle entkommen kann und wer nicht?

Man bleibt als Kinobesucher in diesem durchaus schonungslosen Film von Regisseurin Catherine Corsini für rund hundert Minuten im Krankenhaus, das sich hier als wahrer Alptraum erweist, und diese Zeit ist für den Betrachter  nicht eben ersprießlich, aber aufschlussreich. Gezeigt werden in einer scharfen sozialen (und unendlich laut überdrehten psychologischen) Studie, die auch die Probleme des hochgradig überlasteten Krankenhauspersonals einbezieht, Menschen, die sich alle in einer Ausnahmesituation von extremem Stress befinden und sich dabei nicht von ihrer besten, aber wohl echten Seite zeigen. Es wird viel geschrien und zwar von allen Seiten, die Animositäten kochen hoch, und Valeria Bruni-Tedeschi kann als Hysterikerin mit Panikattacken und  Wutausbrüchen eine nervtötende, immer wieder das Karikaturistische streifende  Meisterleistung liefern, wenn man Menschen ihrer Art auch nicht unbedingt sympathisch findet.

Das ist Zeitzeugenschaft-Kino, nicht angenehm, aber doch mit Einsichten über die französische Situation versehen, die man – vor allem, wenn man in einem anderen Land lebt – sonst nicht so leicht gewinnt. Dafür hat man eine höllische Nacht im Krankenhaus verbracht.

Renate Wagner

 

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