Filmstart: 19. Dezember 2024
FREUD – JENSEITS DES GLAUBENS
Freud’s Last Session / USA, GB / 2023
Regie: Matthew Brown
Mit: Anthony Hopkins, Matthew Goode, Liv Lisa Fries: u.a.
Freud, Lewis und der liebe Gott
Anthony Hopkins ist mit Sicherheit einer der faszinierendsten Schauspieler der Leinwand. Ob er den gerissensten Mörder aller Zeiten (Hannibal Lecter) spielt oder den Mann, der Hunderte jüdischer Kinder aus Nazi-besetzten Gebieten rettete (in „One Life“), einen dementen alten Vater oder einen klugen alten Papst… Man glaubte dem Verwandlungskünstler ebenso Richard Nixon wie Picasso oder Alfred Hitchcock, und nun schlüpft er mit aller Überzeugungskraft in die Optik und Persönlichkeit des alten Sigmund Freud.
Hopkins, der am 31. Dezember seinen 87. Geburtstag feiern wird, ist die Imagination des alten Sigmund Freud in seinem Todesjahr 1939 (er war damals 83 Jahre alt). Die Nazis hatten ihn und einen Teil seiner Familie ausreisen lassen, seitdem lebte er in London unter der Obhut seiner absolut aufopfernden Tochter Anna, die gewissermaßen nicht wagte, neben ihm auch noch ein eigenes Leben zu haben – obwohl sie mit Dorothy Burlington in jeder Hinsicht verbunden war (und später ihr ganzes Leben mit ihr zusammen verbrachte).
Der Film versetzt den Zuschauer in das Freud-Haus in Maresfield-Gardens (heute noch zu besichtigen samt dem Original der berühmten „Couch“ und den vielen Götterfiguren, die Freud gesammelt hat, ohne je an Götter oder gar Gott zu glauben – nur an Mythen, die sich die Menschen zurecht zimmern). Man weiß, dass Freud in seinen letzten Tagen vor seinem gewählten Selbstmord (bei dem ihm sein Arzt half) einen Mann aus Oxford empfangen hat. Man weiß nicht, wer es war.
Der Dramatiker Mark St. Germain behandelt in seinem 2009 uraufgeführten Theaterstück „Freud’s Last Session“ (das ist auch der Originaltitel des Films) die Möglichkeit, es könnte jener C. S. Lewis gewesen sein, der später durch seine Jugendromane „Die Chroniken von Narnia“ (auch verfilmt) berühmt geworden ist – Bücher aus der Welt von Tolkien, der damals ebenso in Oxford tätig war.
Aber in der fiktiven Begegnung von Freud und Lewis geht es nur am Rande um Literatur. Das Thema des Films, der mit Hilfe des Theaterautors als Drehbuchautor den Rahmen des Theaterstücks (zwei Männer in einem Zimmer) um Nebenfiguren, nicht allerdings um Schauplätze erweitert, ist vor allem Religion. Freud, der überzeugte Atheist, und Lewis, der überzeugt zum Katholizismus konvertierte. Und der Freud in missionarischem Eifer zum Glauben an einen Gott überzeugen will. Was natürlich nicht gelingen kann, denn Freud ist der Überzeugung, dass nur die Angst vor dem Tod die Menschen in den Gottglauben treibt…
In Hopkins (der, dies als Pointe am Rande, 1993 in dem Film „Shadowlands“ C.S.Lewis gespielt hat) und dem zurückhaltenden und dabei faszinierend intensiven Matthew Goode stehen einander zwei Männer gegenüber, die einander mit Respekt und Höflichkeit behandeln, obwohl sich ihre Standpunkte nicht annähern können. Ihnen zuzuhören ist allerdings ein Denk-Abenteuer, wie man es im Kino in dieser Intensität und auch auf diesem Niveau selten geboten bekommt. Mögen auch bei diesen geistigen Streifzügen durch Philosophie, Psychologie und Theologie wichtigsten Fragen des Menschseins und der Menschheit vielfach nur angedeutet vorüber ziehen, so bieten sie doch Nachdenkstoff weit, weit über den Film hinaus, den Matthew Brown dankenswerterweise so diskret inszeniert hat, als wollte er das Gespräch der Herren nicht stören… Dass diese Diskussion nie so wissenschaftlich-theoretisch wird, dass sie den normalen Theater- und Kinobesucher vom Verständnis ausschließen würde, darf man dem Film nicht vorwerfen.
Gelegentlich, wenn die Argumentation sich auf das Persönliche verschiebt, wird Schmerzliches offenbar (und dies und das in kleinen Rückblenden gezeigt) – bei Lewis unverarbeitete Kriegserfahrungen, bei Freud die Beziehung zu seiner Tochter Anna, die er geradezu rücksichtslos vom Leben abhält. Diese Anna steht in der Gestalt von Liv Lisa Fries jung, frisch und intelligent da, gleichzeitig aber bedrückt von der ewigen Sorge um den schwerkranken Vater und der Angst, ihn zu verletzen, wenn sie ihm ihre persönliche Bindung an einen anderen Menschen gesteht… Sehr freudisch, diese Situation, aber das wusste man schließlich längst.
Es gibt viele Gründe, sich diesen Film anzusehen – höchste Schauspielkunst zweier Darsteller auf Augenhöhe und Fragen, die nicht nur 1939 in London angesichts des Kriegsausbruchs galten, sondern nie überholt sein werden, solange es Menschen gibt.
Renate Wagner