Filmstart: 2. Juni 2023
FALCON LAKE
Kanada, Frankreich / 2022
Drehbuch und Regie: Charlotte Le Bon
Mit: Joseph Engel. Sara Montpetit u.a.
Ein wirklich romantisches Holzhaus an einem See, in (einigermaßen) unberührter Natur, offenbar ziemlich weit weg von der Zivilisation – das kann viel vorgeben. Etwa den Traumurlaub gestresster Erwachsener, bei dem sich Kinder eher langweilen würden – wie hier als Situation in „Falcon Lake“ von Autorin / Regisseurin Charlotte Le Bon erst einmal angespielt wird, mitten in ihrem heimatlichen Kanada, in Quebec.
Aber wenn die Hauptpersonen Teenager sind, gibt es weitere Möglichkeiten – erste Liebe oder natürlich auch Horror. Das möchte der Trailer des Films suggerieren, wohl weil es sich am besten verkauft. Einst hat man die Leiche eines „Kids“ aus dem Wasser gezogen, seither wandert dessen Geist herum, so heißt es. Die 16jährige Chloe liebt solche Schauergeschichten und erzählt sie auch Bastien, dem Dreizehn-, „fast“ Vierzehnjährigen des Films.
Er ist in Gestalt des jungen Darstellers Joseph Engel (mit, man verzeihe den altmodischen Ausdruck, seinem seelenvollen Gesicht) eigentlich der wahre Grund, warum sich der langsame, immer bedrückend wirkende, wiederholungsreiche Film lohnt.
Die Franko-Kanadierin Charlotte Le Bon war als Schauspielerin in Frankreich und den USA tätig und hegte nun, wie so viele Kolleginnen, das dringende Bedürfnis, einen eigenen Spielfilm zu drehen. Die Teenager-Geschichte vom langsamen Erwachsenwerden in einem Sommer unterscheidet sich von anderen dieser Art nur, dass hier weder wilde Gefühle aufrauschen noch sich wirklich dramatische Ereignisse abspielen. Die Welt der anderen – die Erwachsenen, trampende junge Leute, eine Party – spielt kaum herein. Es geht um Bastian – und wie er Chloe erlebt. Vielfach ratlos, und das geht dem Kinobesucher auch so, aber mutwillige 16jährige, die ihre langen Haare gezielt um sich werfen, sind nun einmal erratische Geschöpfe… (von Sara Montpetit mit differenzierter Launenhaftigkeit gespielt),
Bastien und sein kleiner Bruder sind mit den Eltern für den Sommer ins Holzhaus gezogen (wo es gleich zu Beginn düster ist, weil es keinen Strom gibt – er kommt wieder). Hier lebt für die Ferien auch Chloe, die Familien sind befreundet. Was sich die Erwachsenen dabei denken, die drei „Kinder“, von denen eines keines mehr ist, das andere an der Schwelle und nur das dritte ein kleiner Bub, in ein Zimmer zu stecken, versteht man nicht recht. Allein die Szene, in der Chloe mit Bastien in der Badewanne hockt, an ihm herumwäscht, besonders intensiv die Haare, birst vor Erotik. Und wenn sie sich in den See wirft, wohl wissend, dass Bastien ihr zusieht, tut sie das auch sehr bewusst, nachdem sie ihre Macht über ihn erkannt hat.
So läuft der Film dahin, viel Natur – der See flimmert nach allen Regeln der Kamerakunst, der Wald wirkt magisch, aber mit dem Horror wird es doch nichts. Die halben Kinder in ihnen erzählen sich ihre Geheimnisse (Chloe hat Angst, ihr Leben lang allein zu bleiben), die halben Erwachsenen, die in ihren stecken, reagieren (Bastien mit nächtlichem Samenerguss, wie verbirgt man das?), viel mehr ist nicht zu berichten. Der Film endet abrupt wie mittendrin – Flucht vor der Dramaturgie, oder die Einsicht, dass es nicht viel mehr zu erzählen gibt?
Charlotte Le Bon konnte ihren französischsprachigen Film (selten brechen Englisch sprechende Kanadier hier ein) im Vorjahr in Cannes präsentieren und bekam auch viele gute Kritiken, Lob für die Verhaltenheit ihrer Erzählweise. Es gab auch Einwände, die dem Kinobesucher aufsteigen, dass etwa der Stil bewusst gewollt, ja affektiert eingesetzt wird. Es ist ein gezieltes „Arthouse“-Movie, das mit gar nicht viel Publikum, aber den Kritiken spekuliert.
Renate Wagner