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Film: FABIAN

03.08.2021 | FILM/TV, KRITIKEN

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Filmstart:  6. August 2021
FABIAN ODER DER GANG VOR DIE HUNDE
Deutschland  / 2021
Regie: Dominik Graf
Mit: Tom Schilling, Saskia Rosendahl, Albrecht Schuch, Meret Becker, Anne Bennent u.a.

Vor kurzem erst hat man die Verfilmung einer literarischen Vorlage gesehen, die auf die schlimmste Art „Gegenwarts-verzerrt“ wurde: Franz Biberkopf, der Held von Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“, wurde vom Arbeitslosen der Dreißiger Jahre zum Migranten von heute, und im Grunde konnte man in dem Film von Burhan Qurbani nichts vom Original erkennen. Und der brutal-gewaltsame Zeitsprung ins Heute erwies sich als tödlich.

Einen ganz anderen und, wie sich herausstellt, glücklicheren Weg ging Dominik Graf, als er ein Jahr später den Roman „Fabian“ von Erich Kästner verfilmte, 1931 geschrieben mit einer ungeheuren „Witterung“ für die Zeit, die danach kommen sollte, belässt der Regisseur die Geschichte ganz in ihrer Welt – mit dem Effekt, dass sich die Bezüge zu heute in zahllosen Details so mühelos herstellen lassen, dass man sich fragt, ob man nicht selbst in einer Epoche steckt, in der das bevorsteht, was vor knapp hundert Jahren geschah?

Nur ganz am Anfang erlaubt sich der Regisseur den Trick der Überblendung vom  Heute ins Einst, Berlin, U-Bahn-Station Heidelberger Platz , Leute von heute (an ihren Smartphones sollt ihr sie erkennen), aber dann ist man schon um jene 90 Jahre zurück, die uns von damals trennen, und man bleibt auch dort. „Fabian“ ist ein (auch in der Beschwörung der Epoche großartig gelungenes) Zeitbild der dreißiger Jahre – und ein Menetekel an der Wand. Nichts davon hat die gewaltsame Aktualisierung von „Berlin Alexanderplatz“ erreicht, die nur auf die Zerstörung des Werks hinaus lief.

Hier allerdings ist man mit Dr. Jakob Fabian ganz bei Kästner, ganz im Berlin der Unruhe, der Arbeitslosigkeit, der Hektik, der Unsicherheit. Fast drei Stunden gibt sich Dominik Graf, dieses Schicksal zu entwickeln, und es kommt einem keine Minute zu lang vor. Man will es einfach im Detail wissen, wie dieser Anständigkeit und Traurigkeit ausstrahlende Mann hier durch sein Schicksal geht, um am Ende einen so sinnlosen Tod zu sterben, dass man einst schon bei der Lektüre des Buches geweint hat…

Fabian, den alle beim Nachnamen nennen, ist ein Mann aus Sachsen, ein gescheiter Intellektueller und Schreiber (das Notizbuch hat er, wie Tschechows Trigorin, immer bei der Hand), der in Berlin von der Hand in den Mund lebt, in Untermiete, und bald seine Stellung verliert.

Sein Schicksal entwickelt sich entlang von zwei wichtigen Personen – Cornelia Battenberg (Saskia Rosendahl, die die vielen unterschiedlichen Facetten der Figur erstaunlich zum Tragen bringt), in die er sich verliebt und an deren Gefühle er glaubt, und sein verlotterter, aus reichem Haus stammender Freund Stephan Labude (Albrecht Schuch, ein Bild von Verzweiflung und Haltlosigkeit), der aus einer schon von den Nazis idelogisch „besetzten“ Universität hinaus gemobbt wird.

Man bewegt sich in einer Welt der Kneipen, der Kabaretts und des Films, zu dem offenbar alle wollen, vor allem alle jungen Frauen. Cornelia, an die Fabian sein ganzes, zärtliches Herz gehängt hat, geht mit dem übelsten Produzenten ins Bett, nur um vor der Kamera zu stehen. Tut leid, war nichts.

Aber sie wird es sehr bereuen, und neben einer schonungslosen Schilderung der Zeit und ihrer Umstände erlebt man auch viel Gefühl, das aber nie trieft und oder billig spekuliert wird. Fabian weiß, dass er in einer Schmutzwelt lebt, möchte sich selbst aber nicht dreckig machen (und könnte es gar nicht, selbst wenn er es wollte) – und ähnelt damit seinem Autor Erich Kästner, den man ähnlich einschätzt. Der hätte wohl auch einen Obdachlosen, den die Kellner aus dem Gasthaus hinaus werfen wollten, zu sich an den Tisch geholt…

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Fabian (Tom Schilling), Cornelia (Saskia Rosendahl), Ray (Thomas Reimann) : obs/ZDF/Felix von Boehm

Und man kann sich keinen Schauspieler vorstellen, der den „sauberen“ Fabian besser, überzeugender, deckender hätte verkörpern können als Tom Schilling, der trotz seines realen Alters noch immer etwas Jungenhaftes, Unschuldiges hat, wenn Fabian auch seine trüben Erfahrungen tief mit sich trägt. Er weiß selbst, dass es immer ums Geld geht – aber auch, Freund Labude macht es vor, dass dieses kein glückliches Leben garantiert. Glück könnte nur von der Liebe kommen, und es ist trickreich-tragisch, dass Fabian in dem Moment stirbt, als dieses ihm eigentlich versprochen wird – und Cornelia vergeblich auf ihn warten muss…

Der Film ist innerlich so sauber wie die Vorlage, aber dazu gehört auch, dass man nichts verharmlost oder gar beschönigt, dass die schrägen Figuren der zwanziger  und dreißiger Jahre, die Berlin beherrschten, ihren Raum bekommen. Herrliche, nachdrückliche Farbkleckse setzten zwei Damen: Meret Becker als die durch und durch verderbte Irene Moll, die Fabian aus seiner Geldnot erlösen würde, wenn er denn als Callboy für sie arbeitete – wozu er nicht imstande ist. Und in einem Bordell, in dem sich Laszivität mit Müdigkeit und Traurigkeit mischen, herrscht Anne Bennent als fragwürdige Baronin – herabgekommen waren damals alle.

 Und doch wirkt Dominik Grafs Film nie vordergründig spekuliert, was manchem anderen Regisseur sicherlich passiert wäre. Da werden keine Botschaften verkündet. Da wird einfach ein Stück Leben von einst für Menschen von heute gezeigt. Und der Kontakt funktioniert hundertprozentig. Tua res agitur.

Renate Wagner

 

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