Filmstart: 20. August 2020
EXIL
Deutschland, Kosovo / 2020
Drehbuch und Regie: Visar Morina
Mit: Mišel Matičević, Sandra Hüller, Rainer Bock u.a.
Wir wissen, dass die Migranten unter uns leben, wir erkennen sie an Hautfarbe, fremdländischem Aussehen, oft auch an ihrem Akzent. Aber haben wir eine Ahnung, wie sie sich fühlen, auch wenn sie einer normalen Arbeit nachgehen und vielleicht mit Einheimischen verheiratet sind, womit man zufrieden die „Integration“ feststellen könnte. Was wissen wir schon von ihnen und ihren Befindlichkeiten? Was wir persönlich vor allem medial erfahren, ist die Beschuldigungs-Hysterie, in der wir leben – und die sich auf Einzelne ganz schlimm auswirken kann.
Der Film „Exil“ will uns das Problem näher bringen. Wir lernen Xhafer (Mišel Matičević) kennen, der aus dem Kosovo stammt (und von dessen Hintergrund uns der Film viel zu wenig erzählt), aber offenbar einen durchaus guten Job in einem Pharmaunternehmen hat. Dazu eine deutsche Frau, zwei Kinder und die Belastung im Privaten, wenn die Gattin auch arbeitet. Vor allem aber erlebt man Xhafer den ganzen Film hindurch in einem Gefühl der Hochspannung. Mit scharfem, mißtrauischem, hektischem Blick schaut er herum. Wer diskriminiert ihn? Wer schikaniert ihn? Wer will ihm Böses? Und er findet bei seinen Kollegen reichlich Verdächtige – bei allen sozusagen. Schließlich ist der Unrat, den er in seinem Briefkasten findet, Realität. Aber ist darum die ganze Welt verschworen sein Feind?
Nun sagt uns der Film von Regisseur und Drehbuchautor Visar Morina, der seinerseits aus dem Kosovo stammt und seit Mitte der neunziger Jahre in Deutschland lebt und arbeitet, nicht, ob Xhafer recht hat. Die Kollegen schütteln angesichts seiner Anschuldigungen die Achseln, und am wenigsten ist seine deutsche Frau (wieder eine perfekte Studie der Coolness von Sandra Hüller, nicht gerade der einfühlsame Typ einer Partnerin) bereit, sich auf das einzulassen, was sie seine Paranoia nennt. Der Kinobesucher muss sich bald entschließen, ob er Xhafer glaubt, der überall Rassismus wittert, oder ob er es mit einem Fall von Überreaktion zu tun hat, der jede Integration letztendlich unmöglich macht.
Handlungsmäßig ziemlich einförmig, was die zwei Stunden Spielzeit des Films sehr lang erscheinen lässt, vollzieht man Xhafers Verfolgungswahn mit, und das in Szenen, die oft wenig Zusammenhang aufweisen und oft zu eindeutig auf „künstlerische“ Machart abzielen. Ein deutlicher Ablauf der Geschichte ist nicht zu erkennen, quasi impressionistisch bekommt man Facetten des Misstrauens, des schiefen Blicks auf die Welt vorgeführt, wobei sich der Verdacht (in diesem Fall der Untreue) auch auf die Ehefrau richtet. (Dass er mit der Putzfrau, einer Landsfrau aus dem Kosovo, schläft, steht offenbar auf einem anderen Blatt – ist das Heimweh?)
In dem Kollegen Urs (wieder eine Meisterleistung von Rainer Bock und auf seine Art so verbissen wie der Held der Geschichte) findet er den Sündenbock, dem er die Schuld für alles geben kann, was ihn quält – und er geht auch, in einer eher unklar gehaltenen Szene, körperlich auf ihn los. Auch der Selbstmord von Urs schwebt gewissermaßen in der Luft. Eine menschlich hässliche Szene hat dessen Ehefrau (Victoria Trauttmansdorff), die vom Tod des Gatten gar nicht erschüttert ist – und die Funktion hat, Xhafer klar zu machen, dass Urs sich ebenso verfolgt gefühlt hat wie er… Nur dass bei ihm die Paranoia nicht mit dem Rassismus-Element versehen war, sondern das schlichte Mobbing war, mit dem sich Landsleute gegenseitig das Leben vermiesen bis zerstörten.
Man weiß, wie verschieden die Neuankömmlinge auf die Welt reagieren, in der sie zu leben beschlossen haben. Das Theaterstück „Geächtet“ von Ayad Akhrar beispielsweise zeigt einen Inder in New York, der von seiner Ehefrau quasi „ausgestellt“ und im Freundeskreis als Ausländer vorgeführt wird, um ihren eigenen Liberalismus zu demonstrieren, und der selbst nichts lieber möchte, als nicht mehr auf seine Herkunft angesprochen zu werden. Xhafer ist das Gegenteil. Er kommt uns so pathetisch und wehleidig entgegen, dass man schwer Sympathie für ihn empfinden kann. Er korrigiert jeden, der seinen Namen nicht richtig ausspricht, betont seine Herkunft und wartet lauernd, ob das Gegenüber sich eine rassistische Blöße gibt. Eine Kollegin, die für ein Betriebsfest das Buffet besorgen will, meint die Frage „Essen Sie Schweinefleisch?“ sicher nicht als Affront, er reagiert aber gleich solcherart darauf, als hätte sie ihn bösartig (und nicht rücksichtsvoll) auf sein „Anderssein“ hingewiesen. So wird die Atmosphäre auf jeden Fall vergiftet, auch wenn das Gegenüber nicht das geringste Vorurteil gegen einen Fremden hegt – selbst wenn er sich als solcher geradezu ausstellt und als solcher und nur als solcher akzeptiert werden will…
Man versteht, dass die Welt von verschiedenen menschlichen Gesichtspunkten her verschieden aussieht und dass das Leben für Xhafer ziemlich mühsam und quälend ist, aber das sollte sich nicht unbedingt so ermüdend auf den Kinobesucher übertragen. Zumal dieser nicht recht weiß, welche Erkenntnis ihm der Regisseur mitgeben will: Möchte er die Migranten zu etwas Lockerheit auffordern, etwas Souveränität im Umgang mit einer von ihnen a priori als feindlich konnotierten Umwelt, oder möchte er die… ja, wie nennt man sie? die „Einheimischen“ auf Probleme hinweisen, die man sich nicht ausreichend bewusst macht?
Man wünschte jedenfalls, es wäre ein sinnlicherer Film aus dem heiklen Thema geworden als der gnadenlos schroffe, ermüdende Umgang damit.
Renate Wagner