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Film: EUROPA

30.10.2023 | FILM/TV, KRITIKEN

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Filmstart: 2, November 2023 
EUROPA
Österreich  /  2023
Drehbuch /  Regie / Produktion: Sudabeh Mortezai
Mit; Lilith Stangenberg, Jetnor Gorezi: u.a.

Europa! Klingt das noch immer magisch? So viele sehnen sich danach, dort „aufgenommen“ zu werden, vor allem kleine Länder des Balkans. Bessere Lebensbedingungen, verheißungsvolle wirtschaftliche Möglichkeiten, und schließlich ein demokratisches System, wo sich niemand vor Willkür und Gewalt fürchten muss. Ja? Ist es so?

Sudabeh Mortezai hat einen ganzen Film gedreht, um zu zeigen, dass es nicht so ist. Der Trick dabei: Um das echte Europa geht es nicht. Da reist Beate Winter (Lilith Stangenberg von unheimlicher Glätte und Undurchschaubarkeit), eine scheinbar ungemein sympathische, blonde, sanfte Dame im ländlichen Albanien herum. Ihre Firma heißt Europa und will wirklich, ja wirklich nur das Allerbeste für die Menschen. Sie verkündet philanthropische Projekte. Und sie besucht Leute auf dem Land, erzählt den Bauern in ihren verstreuten, schlichten Gehöften, um wie viel besser es die Töchter haben könnten, wenn man in der Stadt lebte. Meint, das Leben könne doch weniger anstrengend sein, wenn man sich nicht bis zur körperlichen Selbstaufgabe mit Ackern und Vieh befassen müsste. Und nebenbei hat sie schon ein paar Verträge in der Tasche – sehr, sehr großzügige Angebote für ein Land, das streng genommen ohnedies nichts wert ist…

Der Kinobesucher merkt innerhalb kürzester Zeit, was da los ist. Und wenn ein alter Bauer. der Imker Jetnor (Jetnor Gorezi),  sich nicht von dem Süßholzgeraspel von seinem Land vertreiben lassen will – aber ihr Chef der jungen Frau kurz und bündig sagt, dass es ihre Verantwortung sei, das zu Ende zu bringen, egal wie… ja, da spielt man halt schmutzig. Ruiniert den Mann mit unlauteren Mitteln, Irgendwelche Vorwände finden sich schon. Man ist ja noch am Balkan, nicht im gerechten Europa…

Und da ist noch eine verstörende Episode, die letztendlich nicht aufgeklärt wird. Albanien ist das Land der zahllosen, leerstehenden Bunker, die einst ihr paranoider Führer Enver Hoxha in Kommunistenzeiten errichten ließ. Offenbar hat die Firma Europa (warum, erfährt man nicht – aber sicher zu nichts Gutem) solche gekauft. Das Eindringen einer skandinavischen  Touristengruppe wird zu einem rätselhaften  Ereignis, das bloß  zu nichts führt, so dass man sich fragt, was die Regisseurin / Autorin damit wohl gemeint hat…

Sudabeh Mortezai. Österreichische Filmemacherin mit iranischen Wurzeln, die bisher mit Werken zur Geflüchteten-Problematik Beachtung fand, schrieb hier eine herzzerreißende Geschichte, wo zu Beginn und am Ende ein alter Mann auf ein Auto springt und wie wahnsinnig auf die Scheibe einschlägt. „Nicht anhalten“, befielt die Stimme einer Frau, und was anfangs verwirrt, sagt am Ende, dass sie hier das Leben eines Menschen zerstört hat. Einer, der nicht mit Geld zu kaufen war, sondern das Land seiner Väter liebte. Aber wenn ein Konzern – aus welchen Gründen auch immer – ein Tal in Albanien kaufen will, kann man sich von solchen Sentimentalitäten nicht abhalten lassen. Dem Kinobesucher allerdings zerreißt es das Herz, so er eines hat.

Die Erkenntnis am Ende kann nur lauten: Hände weg von Europa und seinem Brutalo-Kapitalismus. Lebt euer Leben, eure Kultur, Ihr habt nichts zu gewinnen, aber viel zu verlieren. Ob sich die Betroffenen das von der Filmemacherin wirklich sagen lassen werden? Und ist es in der kraß dargestellten Art nicht nur Drohung, nicht nur Warnung, sondern auch das klassische weiße, europäische Schuldbewusstsein „Wir sind die  Bösen“ eine Spur zu überzogen?

Renate Wagner

 

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