Filmstart: 2. Oktober 2020
ENFANT TERRIBELE
Deutschland / 2020
Regie: Oskar Roehler
Mit: Oliver Masucci, Hary Prinz, Katja Riemann, Eva Mattes u.a.
Es gibt Künstler, die als Persönlichkeiten ebenso fesselnd sind wie ihr Werk. Keine Frage, dass Rainer Werner Fassbinder (1945-1982) zu jenen zählt, die man als „monstre sacré“ einordnet, was dann von Kulturfigur bis Scheusal alles umfasst. Er war ein Talent besonderer Art, sowohl im (exzessiv brutalen) Umgang mit Menschen wie im Erschaffen von Filmen, die Deutschlands Filmgeschichte von der Mitte der sechziger bis Anfang der achtziger Jahre entscheidend mitschrieben. Hätte er in seiner kurzen Lebens- und noch kürzeren Arbeitszeit Filme gemacht wie alle anderen auch und nicht quasi aus dem Handgelenk von Verrücktheit und Inspiration, er hätte nie ein so umfangreiches und komplexes Werk hinterlassen können.
Wenn Filmemacher Oskar Roehler (*1959, also nur knapp eineinhalb Jahrzehnte älter als Fassbinder, der heute auch erst 75 wäre, aber von diesem doch durch Welten getrennt) sich nun dem „Enfant terrible“ Fassbinder zuwendet, eine Bezeichnung, die dieser zweifellos verdient hat, geht es ihm eigentlich nicht um den Künstler, der er ja doch war. Roehler nimmt den in vielem fragwürdigen Menschen ins Visier und der war ja nun nicht die angenehmste Erscheinung. Die Frage, ob man ein solcher Kotzbrocken sein muss, um solche Leistungen zu liefern, ist kaum zu beantworten (Richard Wagner und Bert Brecht haben ihre Genialität ja auch mit menschlichen Unzulänglichkeiten erster Ordnung kombiniert.) Fassbinder war, wie er war – und bei Roehler kommt er schrecklich von der Leinwand.
„Ich bin alles, vor allem schwul, und ich stehe auf Gastarbeiter“, ist ein frühes Bekenntnis des Films, und die „Schwulitäten“ werden zu einem ausführlich hochgejubelten Hauptmotiv mit Sex-Szenen, immer auch verbunden mit lustvollen Demütigungen von Partnern, die diesem Rainer offenbar verfallen sind, was man nicht recht versteht.
Liegt es an Hauptdarsteller Oliver Masucci? Er hat auf der Bühne immer stark gewirkt, auch dank eines markanten, unverwechselbaren Aussehens, hat es allerdings im Burgtheater zu nie mehr als Nebenrollen gebracht. Jetzt ist er Rainer Werner Fassbinder – und überzeugt nicht wirklich.
Natürlich ist eine Ähnlichkeit mit so vordergründigen Elementen wie Bart und Hut, Zigarette schief im Mundwinkel, Augen halb müde, halb provozierend nicht so schwer herzustellen, und trotzdem hat man das Gefühl, dass Fassbinder anders gewirkt haben muss, fülliger, bayerischer, lockerer.
Egal, die meisten der Kinobesucher haben ihn nicht gekannt, sie bekommen also Masucci, der laut und künstlich (aber nicht aus dem Bauch) aufbraust und widerlicher nicht sein könnte. Hat er wirklich nur „Liebe und Anerkennung“ gesucht, wie es klischeehaft immer wieder formuliert wird, oder hat er einfach in Machtspielen seinen Sadismus ausgelebt? Und das zweieinhalb Stunden, in denen Roehler nur das Gefühl erweckt, er wolle diesen miesen Charakter ausstellen und vorführen und der Verurteilung preisgeben. Dabei ist die Schwüle dieser eigenen Welt, die Fassbinder kreierte, glaubhaft gemacht – und der tragisch-lächerliche Hofstaat, der sich um den zweifelhaften König anbetend und geifernd versammelte, auch.
Und doch ist einem das zu wenig, zudem der Film auch ein bisschen affektiert einher kommt: Wer da nicht aller auftritt! Dabei werden sie im allgemeinen nicht namentlich identifiziert. Wenn da nicht eine so verblüffende Ähnlichkeit erzielt wird, die keiner Erklärung bedarf, wie Frida-Lovisa Hamann als Hanna Schygulla, dann bleibt das, was hier oft nur in Kürzestszenen durchparadiert, eine Show für Insider, für Cineasten, für Filmkritiker, die sich rühmen, jeden Film Fassbinders und jedes Gesicht darin zu kennen.
Roehlers Dramaturgie ist keine logische, vielmehr eine hüpfende, von Szene zu Szene, zeitlich und handlungsmäßig auseinander liegend und leider unkonkret. Als lautstarker Rebell auf dem Theater hat er begonnen. Filme hat er gemacht, der Fassbinder, so erfährt man, weil er berühmt werden wollte, nicht, weil er etwas zu sagen gehabt hätte. Das Whiskyglas ist von Anfang an dabei, später gesellen sich zum Alkohol die Drogen dazu und der zügellose Sex mit allen und jedem – man muss schon daran arbeiten, um mit 36 Jahren zu sterben. Immerhin, den Weg dieser Zerstörung zeichnet der Film nach.
Der Außenseiter zog die Außenseiter an – eine glänzende Leistung liefert der Schauspieler Michael Klammer als jener farbige Günther Kaufmann, der sich, obwohl verheiratet, seine Rollen bei Fassbinder mit sexueller Bereitschaft erkaufen musste. Er hat eine etwas längere Verweildauer in dem Film, ebenso wie Kurt Raab (Hary Prinz) und Ulli Lommel (Lucas Gregorowicz), die er demütigte und ausbeutete, sexuell und auch finanziell, denn wenn Fassbinder auch auf unterster Kostenebene produzierte, irgendwo musste das Geld dafür ja herkommen…
Gelegentlich sieht man ein Stargesicht, aber was Katja Riemann als Gudrun soll – man weiß es nicht (vielleicht hätte eine noch lebende Dame ihre Persönlichkeitsrechte beschädigt gefühlt, wäre sie mit ihrem echten Namen genannt worden). Auch später ein Kurzauftritt von Sunnyi Melles als „Veronika“ (=(Rosel Zech) wird nicht klar. Brigitte Mira wird angekündigt, Eva Mattes ist sogar entfernt ein ähnlicher Typ, aber warum der mit ihr und El Hedi ben Salem (Erdal Yıldız) 1974 geschaffene Film „Angst essen Seele auf“ so bedeutend war, wird nicht einmal angedeutet.
Obzwar Fassbinder immer exzentrischer und erratischer wurde (auch antisemitische Ausfälle riskierte), scheint der Film in steter Wiederholung von Sex, Suff, Kokain und undefinierter dahinhetzender Arbeit ziemlich einförmig. Immer neue Einfälle, die Umwelt zu demütigen (Männer mit Frauennamen anreden), aber nichts darüber, wie er mit Filmen wie „Die Ehe der Maria Braun“, „Lili Marleen“ oder „Die Sehnsucht der Veronika Voss“ die deutsche Gegenwart herausforderte. Und nichts davon, dass all das keine Zufallsprodukte, sondern sehr wohl erarbeitete Kunstwerke waren.
Sicher kann man bei der Menge, ja bei der Masse dessen, was Fassbinder in einer Art von Schaffensrausch produzierte, nicht auf Details eingehen, aber das Werk so kursorisch zu streifen, geht eigentlich nicht an. In einer Szene stellt der Regisseur Andy Warhol (Alexander Scheer) und Fassbinder neben einander. Der dramaturgische Wert dieser Ikonen-Schau wird nicht klar.
Fassbinder hatte als Kind der 68er Jahre und ihrer Revolution begonnen, er kam in seiner Lebenszeit bis in die Welt der Roten Armee Fraktion und hat auch filmisch etwas dazu gesagt. Den erwünschten Ruhm hatte er nun erreicht und war doch schon so zerstört, dass er ihn nicht mehr interessierte. Sein Nachruf kommt aus dem Off, das Lob für den Künstler aus dem Radio. Was Roehlers Film zeigt ist ein Mann, der sich durch sein Leben gebrüllt und getobt, geschnurrt und geknurrt, gevögelt, gesoffen und gekokst hat. Das stimmt sicher auch. Aber es kann, sieht man seine Filme, nicht alles gewesen sein. Also ist es zu wenig.
Renate Wagner