Filmstart: 9. Oktober 2020
EINE FRAU MIT BERAUSCHENDEN TALENTEN
La Daronne / Frankreich / 2020
Regie: Jean-Paul Salomé
Mit: Isabelle Huppert, Hippolyte Girardot, Jade Nadja Nguyen, Farida Ouchani, Liliane Rovère u.a.
Isabelle Huppert hat schon manche Exzentrikerinnen auf die Leinwand gebracht. Liest man den deutschen Titel des Films und sieht sie als Muslima verschleiert, kann man nur eine verrückte Komödie oder tolle Posse erwarten. Erstaunlicherweise ist es das bestenfalls stellenweise – und die Huppert gibt auch dem Affen nicht Zucker, gibt ihre Figur nicht der Parodie preis. Wenn man mit ihr in die Welt der Pariser Drogenhändler einsteigt, wirkt das fast wie ein realistisches Genrebild. Und das verwundert auch nicht, wenn man weiß, dass Hannelore Cayre die Vorlage geliefert hat, ihres Zeichens Strafverteidigerin vor allem für Migranten…
Wir lernen Patience Portefeux in Uniform unter den Polizisten kennen, die in einer Drogen-Razzia reichlich fündig werden. Und wenn die Verhafteten arabischer Herkunft dann beim Verhör sitzen, ist sie in prominenter Position dabei – als Dolmetscherin. (Man erfährt, dass ihr Mann Araber war, jedenfalls besucht sie am Ende sein Grab in Muscat.) Im übrigen hat Patience ihre Probleme, weniger mit den desinteressierten erwachsenen Töchtern (die eigentlich finanziell nichts beitragen wollen) als mit der in einem Heim dahin sterbenden Mutter (Liliane Rovère), deren Pflege mehr kostet, als sie sich leisten kann. Darum ist sie auch für die Freundlichkeit der betreuenden Pflegerin Khadidja (Farida Ouchani) sehr dankbar. Dass die sterbende Mama nicht lieb, sondern lästig ist, soll vorkommen – am meisten wünscht sie sich, noch einmal durch ein großes Warenhaus zu gehen. (Die Tochter wird ihr später den Wunsch erfüllen, als sie in einer skurrilen Szene Mamas Asche dort verstreut…)
Als Übersetzerin weiß Patience natürlich mehr als alle anderen – sie versteht, was die Araber untereinander sagen, wenn sie deren aufgezeichneten Telefonanrufe abhört. Sie kennt die Nuancen, sie weiß wirklich, was läuft. Zwar ist sie mit ihrem Chef., dem sehr sympathischen Dezernatsleiter Philippe (Hippolyte Girardot) sehr gut (ja, auch so). Aber wenn sie erfährt, dass es eine Razzia geben wird, bei der Khadidjas Sohn sicher erwischt werden dürfte, dann warnt sie die Mutter. Und sie übersetzt nicht alles, was sie hört. Und eines Tages geht sie einen Schritt weiter, als sie weiß, dass eine Unmasse Drogen im Moment ohne Besitzer irgendwo in der Landschaft (ein einsamer Container) lagern. Ein Polizeischnüffelhund, den sie adoptiert, und sie… und ein Milieu, in dem sie sich auskennt.
Es zählt zu den direkt auf Amüsement ausgerichteten Szenen dieses nicht immer ganz übersichtlichen Films von Jean-Paul Salomé, wenn Patience vor dem Spiegel ausprobiert, mit welcher Kopftuch-Variation sie am besten und überzeugendsten aussieht. Die komischen Kerle, denen sie ihre Ware verkauft, wären zwar misstrauisch, aber wenn jemand so perfekt Arabisch spricht? Jedenfalls kann das Heim der Mutter von Patience bald problemlos bezahlt werden.
Was nun kommt, ist die Geschichte eines Doppellebens, die brave Beamtin bei der Polizei, die erfolgreiche Dealerin auf der anderen Seite. Da werden schon ganz tolle Möglichkeiten der Übergabe gefunden (Kekspakete vielleicht?) Die Chinesin Colette Fo (Jade Nadja Nguyen) bei ihr im Haus riecht den Braten, erweist sich aber schließlich als kompetente Hilfe, und wenn einmal eine Leiche herumliegt – dergleichen erledigen wir allein, erklärt die Dame. Und da der Polizei natürlich nicht verborgen bleibt, dass da jemand Neuer im Milieu mitmischt, und Freund Philippe schon misstrauisch wird…
Es ist zwar kein Film, der auf übermäßige Spannung angelegt ist, aber es soll natürlich nicht verraten werden, wie es weiter- und ausgeht. Manchmal überwiegt die Komödie dann doch, und man ist sich nicht mehr sicher, ob der Film so ernsthaft gemeint ist, wie er sich lange gegeben hat. Was soll’s – es ist ein Huppert-Film, das hat schon an sich seinen Wert. Und ein bisschen ins Drogenmilieu zu schnüffeln, ohne dass es ernsthaft weh tut, ist auch einen Kinobesuch wert.
Renate Wagner