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Film: DIE WUNDERSAME WELT DES LOUIS WAIN

21.04.2022 | FILM/TV, KRITIKEN

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Filmstart: 22. April 2022   
DIE WUNDERSAME WELT DES LOUIS WAIN
The Electrical Life of Louis Wain  /  GB  /  2020
Regie: Will Sharpe
Mit: Benedict Cumberbatch, Claire Foy, Andrea Riseborough, Toby Jones u.a.

Louis Wain  (1880-1939) ist im angelsächsischen Sprachraum für seine Katzenbilder bekannt und berühmt, während er hierzulande vermutlich nur den dezidierten Katzenliebhabern ein Begriff ist. Gezeichnete und gemalte Tiere – das verbindet man mit „putzig“, „niedlich“, „reizend“. Nichts davon ist bei Louis Wain der Fall, am allerwenigsten mit Blick auf sein Leben.

Der bemerkenswerte Film von Regisseur Will Sharpe, der hier ein großartiges Leinwand-Debut hinlegt (bisher war das Fernsehen sein Betätigungsfeld) zeichnet ein Künstlerleben in Spannung mit der Viktorianischen Gesellschaft, unter Druck familiärer Verhältnisse, in der Unfähigkeit, Finanzielles befriedigend zu regeln, und in manchen Wahnvorstellungen, die sich früh zeigten – vor allem Wains Faszination für die neu entdeckte Elektrizität, der er geradezu metaphysische Kraft einräumte…

Nebenbei hat er im „Hundeland“ Großbritannien die bis dahin verächtlich betrachteten Katzen als Haustiere und Objekt der menschlichen Zuneigung etabliert – und über allem stand sein außergewöhnliches Zeichentalent und seine (wohl vererbte) labile Psyche, die ihn in der Nervenheilanstalt enden ließ… Eine Erzählstimme aus dem Off (im Original gehört sie Olivia Colman) klärt unaufdringlich manches Detail des sozialen Hintergrunds. Und die Bildersprache des Films weicht immer wieder behutsam von der Realität ab…

Benedict Cumberbatch spielt den Mann in Bedrängnis, und es ist wieder einmal eine seiner Großleistungen, weil man die ganze Zeit spürt, dass etwas nicht mit ihm stimmt – und dass es nicht nur sein Künstlerwesen ist, das diese permanente, tragische Hochspannung erklärt. Als einziger und ältester Sohn einer kranken Witwe mit fünf jüngeren Schwestern, von denen eine (Andrea Riseborough als Caroline Wain) versuchte, durch strenges Regiment den Bruder immer wieder zu verpflichten, sie alle zu ernähren, stand er unter geradezu unglaublichem Druck. (Von einer der Schwestern, Marie, erfährt man später, dass sie in der Psychiatrie gelandet ist.) Diese Familienszenen unter stets nur Zeit, Aufmerksamkeit und Geld fordernden Frauen sind von beklemmender Dichte.

Als Schnellzeichner ist Wain in einem Zeitalter, wo noch nicht die Fotografie die Bilderwelt der Zeitungen beherrschte, trotz seiner Launen und Unberechenbarkeit sehr gefragt – Toby Jones als Sir William Ingram, der die „Illustrated London News“ leitete, spielt das, was es im wahren Leben kaum gibt, einen verständnisvollen Verleger / Chefredakteur, der sich auf die Exzentrik eines Künstlers einlässt, weil er einfach das ungewöhnliche Talent erkennt.

Louis Wain hat einmal versucht, sich aus der Tyrannei seiner weiblichen Familie zu befreien, und für kurze Zeit ist es auch gelungen. Mit Emily Richardson (Claire Foy mit wunderbarem Reichtum an Verstand und Gefühl) kam eine Gouvernante in seine Familie, die imstande war, mit ihm die eisernen gesellschaftlichen Regeln zu durchbrechen. Denn – ein Gentleman heiratet nicht unter seinem Stand, schon gar nicht eine Frau aus dem Personal. Und noch weniger, wenn sie zehn Jahre älter ist als er. Die Familie (und die Gesellschaft rundum) war erschüttert, aber das Paar zog sich aufs Land zurück und war glücklich. Und sie nahmen einen streunenden Kater auf, den sie Peter nannten und der Louis Wain lehrte, das Wesen der Katzen zu verstehen (in einigen Szenen, die surreal sind wie vieles an diesem auch gestalterisch bemerkenswerten Film, sprechen sie auch…).

Das an Tragödien reiche Leben des Louis Wain beraubte ihn nach wenigen Jahren seiner glücklichen Beziehung (Emily starb an Krebs), und es ist die Kunst der beiden Darsteller, dass ihre Szenen um das Wissen des Endes den Kitsch bestenfalls am Rande streifen… Für Wain bedeutete der Tod seiner Frau, dass er wieder in die Arme seiner unverändert anstrengenden und fordernden Familie zurück geworfen wurde.

Inzwischen waren die Katzenbilder – Katzen, die er vermenschlichte, ein früher Disney, ganz ohne dessen Lieblichkeit – eine allgemeine Sensation geworden. Das Geld damit machten die anderen, weil Wain viel zu weltfremd gewesen war, sich das Copyright auf sein Werk zu sichern. Erschütternd, wie man ihn – alt geworden, unter alten Schwestern – dann in einem Armenhospital begegnet. Manche seiner Katzen, die er zeichnet, sind nun beängstigend dämonisch – und werden teilweise auch von Elektrizität gebeutelt…

Seufzend erhebt man sich aus dem Kinosessel und überlegt, warum große Künstler oft ein äußerlich und innerlich so schweres Leben haben müssen. Getröstet wird man als Filmfreund allerdings dadurch, dass man wieder eine ganz besondere Leistung von Benedict Cumberbatch gesehen hat – ein von Menschen und Dämonen Gejagter.

Renate Wagner

 

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