Filmstart: 26. Dezember 2024
DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS
Deutschland / Iran / 2024
Drehbuch und Regie: Mohammad Rasulof
Mit; Missagh Zareh, Soheila Golestani, Mahsa Rostami, Setareh Maleki u.a,
Leben im Iran…
Leben im Iran, wie es aktuell ist, heute, gestern, morgen. Der Regisseur Mohammad Rasulof zeigt das in dem von ihm geschriebenen und mitproduzierten Film, der unter „iranischer“ und deutscher Flagge läuft (er lebt nach seiner Flucht aus dem Iran, wo er verurteilt ist, in Deutschland im Exil). „Die Saat des heiligen Feigenbaums“, zweidreiviertel eindrucksvolle, beklemmende Kinostunden, hinter deren Titel eine Parabel steckt, die nicht so schön ist, wie sie sich anzuhören scheint (denn die Feigen umschlingen andere Bäume nach und nach so gezielt, dass diese erwürgt werden…)
Der Autor / Regisseur arbeitet die letzten (und aktuellsten) Ereignisse im Iran fassbar als Familiengeschichte auf, wobei die Realität erzählt, was zu sagen ist, und es keinerlei Belehrung braucht. Wie empfinden die Menschen, die im Iran leben, den immer zunehmenden, brutaleren und letztlich für den einzelnen mörderischen Druck, den das Mullah-Regime ausübt?
Man lernt Iman (Missah Zare) als freundlichen, unaggressiven, wenn auch sehr frommen Mann kennen, in guter Ehe mit der durchaus klugen Najmeh (Soheila Golestani) verbunden, Vater zweier Töchter, Rezvan (Mahsa Rostami), halb erwachsen, Sana (Setareh Maleki), noch ein Teenager. Sie führen ein bürgerliches Leben, das dem Kinozuschauer hierzulande fast europäisch vorkommt, Smartphones und Soziale Medien sind präsent, Kopftücher tragen die Frauen allerdings gezwungenermaßen außer Haus.
Nun hat Iman als Jurist, als Ermittlungsrichter im Staatsdienst, einen Beruf, mit dem er sich aus politischen Entwicklungen und vor politischem Druck nicht heraushalten kann (zumal er mit Prestige, Geld und weiteren Karrierechancen verbunden ist). Man erlebt, wie er zu einem Kollegen geht und erklärt, er könne ein verlangtes Urteil einfach nicht unterschreiben – der Kollege schreibt ihm auf einen Blick „Wir werden abgehört“ und rät ihm, zu tun, was man von ihm verlangt. Und nach den Revolten, die den Iran nach dem Fall der der 22-jährigen Jina Mahsa Amini, überziehen, die wegen einer Kopftuch-Anklage von der Sittenpolizeifestgenommen wurde und unter ungeklärten Umständen in der Haft starb, sind Männer, die stakkato Todesurteile unterschreiben, dringend benötigt…
Wie Menschen in totalitäre Systeme hinein gezogen werden und, um sich und ihre Familien zu schützen, dem Zwang des Unrechts nachgeben – das ist hier das Thema. Das betrifft im doppelten Sinn die Angehörigen, die ja mit untergehen würden, wenn Männer wie Iman sich weigerten, das Verlangte zu tun, und selbst zu Angeklagten würden.
Die Gattin versucht, ihm loyal zur Seite zu stehen, die Narrative der Mächtigen, die nicht zuletzt über die Fernsehapparate gehämmert werden, nicht nur nachzubeten, sondern auch zu verteidigen.
Aber die Jugend ist idealistisch, sie ist rebellisch, und so will sich Tochter Rezvan nicht fügen, tritt gegen die hilflosen Eltern auf, weiß aber auch, was ihren Freunden, die sich Protesten angeschlossen haben, bereits geschehen ist. UND Es ist – was Rezvan anfangs noch nicht weiß – ihr Vater, der sich mittlerweile damit abgefunden hat, die Todesurteile für Protestierer zu unterschreiben, was ihn zu einem verhassten Schergen des Regimes macht..
Jene Wirklichkeit, die man aus Medienberichten kennt, findet Eingang in den Film, der Regisseur konnte auf reiches Dokumentarmaterial zurückgreifen, sowohl offizielles wie auch auf die Sozialen Medien und Realszenen, die auf zahllosen Smartphones aufgenommen wurden.
Wenn die Risse durch die Familien gehen, wenn man die liebsten Menschen verdächtigen muss, Feinde zu sein (der Vater die Töchter, die Töchter den Vater, dazwischen die zerriebene Mutter), und wenn dann auch noch die Behörden gnadenlos ins Leben eingreifen… Mohammad Rasulof setzt bei allen gezeigten Seelenqualen nicht auf billige Dramatik, sondern auf erschreckende Lebensrealität, angesichts derer viele Menschen in Verzweiflung, Haß und Mißtrauen verstummen.
Selbst wenn das Ende, auf der Flucht der Familie aufs Land, es zu einer Art Jagd in halb verfallenen Gebäuden kommt, gibt es der Film nie billig. Und er bietet auch kein Ende. Nur die Handyaufnahmen der Frauen, die ihre Kopftücher herunter rissen und über dem Kopf schwenkten – als lebensgefährliche Herausforderung der alten Mullahs, die ihr Leben ruinierten…
Es geht also um die Psychologie der Macht, die Vergewaltigung des Menschen durch ein Regime – eine ewige Geschichte, die immer wieder auf dieser Welt passiert (die Deutschen, die mit für die Realisierung des Films sorgten, wissen Nazi- und DDR-Lieder davon zu singen).. Ein „Psychothriller“, als welchen die Werbung das Werk verkaufen will, ist es nicht, dazu fehlt das Spekulative, vielmehr wirkt der Film von Anfang bis zum Ende wie von einem Flair der Wahrhaftigkeit umgeben.
Man hat „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ beim Festival von Cannes gezeigt, der Film erhielt zwar nicht die Goldene Palme (da war der Jury die leichtgewichtige Geschichte „Anora“ lieber), aber jede Menge Sonderpreise. Deutschland hat den Film, der ausschließlich in Farsi stattfindet, für die Auslands-„Oscars“ eingereicht und es auf die Nominierungs-Shortlist geschafft. Es würde nicht wundern, wenn der Preis hier landete, obwohl „Emilia Perez“ mit dem Trans-Thema natürlich heutzutage gefälliger ist als diese harte, schmerzliche politische Parabel.
Renate Wagner