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Film: DIE MITTAGSFRAU

26.10.2023 | FILM/TV, KRITIKEN

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Filmstart: 25. Oktober 2023
DIE MITTAGSFRAU
Deutschland  /  2023 
Regie: Barbara  Albert
Mit: Mala Emde,   Max von der Groeben, Thomas Prenn,  Liliane Amuat  u.a.

Es ist die Spezialität der österreichischen Regisseurin Barbara Albert, Menschenschicksale in schweren Zeiten auf der Leinwand nachzuzeichnen. Und mit „Die Mittagsfrau“ nach dem 2007 erschienen Roman von Julia Franck bietet dafür eine geradezu herzzerreißende Vorlage. Erzählt wird das Schicksal von Helene, einer anständigen, klugen, ambitionierten, liebevollen Frau, die als Halbjüdin  in der Welt des Dritten Reichs keine Chance auf ein erfülltes Leben bekommt.

Man begegnet Helene (in der Jugend Helena Pieske, dann  höchst eindrucksvoll über einen langen Zeitraum gestaltet von Mala Emde) und ihrer Schwester Martha (Liliane Amuat) noch in der sächsischen Provinz, Helene von der Ambtion getrieben, Ärztin zu werden, Martha nur auf der Suche nach einem aufregenden unterhaltenden Leben. Als die beiden aus verschiedenen Motiven nach Berlin gehen, versinkt Martha im tödlichen Drogenrausch der Zwanziger Jahre, während sich Helene als Apothekerin auf das Studium vorbereitet.

Und in der Gestalt des jungen, liebenswerten Karl (Thomas Prenn) findet sie die wahre Liebe. Nur dass dieser als Jude von marodierenden Nazis auf der Straße erschlagen wird… Hätte Helene es mit ihm besser getroffen, wenn sie ihm vielleicht ins Konzentrationslager gefolgt wäre?

Sie überlebt um einen hohen Preis. Der SS-Offizier Wilhelm (Max von der Groeben) ist zwar so fasziniert von ihr, dass er sie heiratet und ihr falsche Papiere als „Arierin“ besorgt, aber er kann gar nicht genug tun, sie zu demütigen und ihr seine Verachtung zu beweisen. Helene, die nach ihren neuen Papieren nun „Alice“ heißt, zieht mit Wilhelm nach Stettin, arbeitet in einem Krankenhaus und muss erleben, dass er den gemeinsamen Sohn geradezu verleugnet und sie beide im Stich lässt…

Im Krankenhaus, wo „Alice“ nun arbeitet, kommt es zu einigen signifikanten Ereignissen. Nicht nur, dass eine Frau aus ihrer Jugend sie zu erkennen meint, was sie aber konsequent leugnet, es gibt auch eine Szene, wo ein Arzt einer jungen Frau, die offenbar im Nazi-Regime als „unwert“ gilt, ein Kind abtreiben will. Weil „Alice“ sich doch so für Chirurgie interessiert, bietet er ihr zynisch an, das zu übernehmen. Sie lehnt ab, weil es für den Eingriff keine medizinische Begründung gibt…

Barbara Albert zeichnet diese Tragödie klar, aber ohne hektische Übertreibung und ohne manipulativen Gefühlsüberschwang. Auch nicht, als der Film an jener Stelle ankommt, die der Autorin des Romans wohl die wichtigste war, für Barbara Albert aber nur eine weitere Leidensstation ist. Wenn Helene ihren kleinen, unschuldigen Sohn Peter, den sie auf Grund all dessen, was sie (nicht zuletzt mit seinem Vater) erlebt hat, nicht lieben kann, einfach ohne Kommentar bei Verwandten in einem Dorf absetzt…

Im Roman gehören Prolog und Epilog diesem Peter, der zuletzt als junger Erwachsener die Mutter, die ihn so brutal verlassen hat, nicht sehen will. Der  Film deutet zumindest eine Art von Umarmung, Versöhnung an, die konsequenterweise nicht zu dieser harten, tragischen Geschichte passt. Die auch gar nicht metaphysisch angelegt ist, obwohl die „Mittagsfrau“ des Titels ein slawisches Geisterwesen ist (Sachsen liegt ja ganz, ganz nahe an Polen).

Zu zeigen, wie ein Mensch schuldlos vom Leben keine Chance bekommt und dabei in stiller Verzweiflung innerlich erstarrt – darum geht es. Und man folgt der Tragik, die über diesem Leben und diesem Film liegt, mit aller Aufmerksamkeit und Anteilnahme.

Renate Wagner

 

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