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Film: DIE MISSWAHL – DER BEGINN EINER REVOLUTION

28.09.2020 | FILM/TV, KRITIKEN

Filmstart: 2. Oktober 2020
DIE MISSWAHL – DER BEGINN EINER REVOLUTION
Misbehaviour / GB / 2020
Regie: Philippa Lowthorpe
Mit: Keira Knightley, Gugu Mbatha-Raw, Rhys Ifans, Greg Kinnear, Phyllis Logan u.a.

Wer von „Frauenrechtlerinnen“ spricht (die altmodische Bezeichnung für das, was heute flott Feministin heißt), denkt wohl vor allem an die viel verspotteten und dabei so wackeren Suffragetten, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts vehement um das Frauenwahlrecht und in der Folge um die Gleichberechtigung kämpften. Wenn man ehrlich ist, ist das Thema (wie steht’s mit gleichem Geld für gleiche Arbeit?) noch immer  nicht ausgestanden. Aber dass Frauen es heute leichter haben, ist wohl unbestritten.

Ein Film, der in die siebziger Jahre in England zurück blendet, zeigt hingegen auf (ebenso wie es „Das Nest“ in den USA und England in den achtziger Jahren tun wird), wie beschränkt die weiblichen Möglichkeiten damals noch waren, wie ein klischiertes Frauenbild geradezu tyrannisch herrschte und Verhalten prägte – und wie die Männer verächtlich über Frauen lächelten, die ihnen entgegen zu treten wagten.

Es ist eine wahre Geschichte, die hier aus dem Jahr 1970 in London erzählt wird. Damals wurde hier die Wahl der „Miß Welt“ ausgerichtet, das größte Medienereignis seit der Krönung der Queen, wie es hieß. Und da ist Sally Alexander in Gestalt von Keira Knightley, die ihre Attraktivität wacker unter den Scheffel stellt und nur weiblichern Zorn (wenn auch die freundliche, kinogefällige Version) zeigt– es gab sie wirklich, es gibt sie, als ältere Dame und Professorin für moderne Geschichte an der Universität London (vor zwei Jahren erst in den Ruhestand gegangen) noch immer.

Damals lebt sie ledig mit Kind noch bei ihren Eltern, weil sie sich nichts anderes leisten kann, und sie wird, als sie sich beim College bewirbt, als Mitglied der unteren Klassen ausgesprochen von oben herab behandelt. Sie muss sich auch von ihrer Mutter (Phyllis Logan in einer hervorragenden Studie der Anpassung als Evelyn Alexander) sagen lassen, dass sie absolut nicht den Vorstellungen entspricht, die Männer von einer Frau haben (auch weil sie gar keine Absicht hat, sich „hübsch“ herzurichten und die weibliche Aufgabe, „to please and service men“, zu erfüllen).

Parallel sieht man den Impresario Morley (Rhys Ifans) bei der Arbeit, man erlebt, wie die „Missen“ aus aller Welt herbei reisen und in diesen Rausch künstlicher Frauenbilder eintreten, die rund um die Riesenshow der Krönung der Schönsten der Schönen entfesselt wird – eine faszinierende Parallelwelt. Und Sally, die bei flammenden Vorträgen der Frauenbewegung („Womens Liberation Movement“) dabei ist, die die Welt des „Male Establishment“, des Sexismus und Rassismus, des alten Frauenbildes durchbrechen wollen, schließt sich schnell einer Schar wütender Kämpferinnen an (die dann so „fetzig“ aussehen, wie man es Alice Schwarzer und ihren „Emmas“ immer vorgeworfen hat…).

Aber es geht nicht nur um die „Revoluzzerinnen“, die die Idee weiblicher Fleischbeschau degradierend finden und etwas dagegen tun wollen (wobei Sally unter ihnen die einzige prägnante Figur bleibt). Wie es heute politisch korrekt ist, und dieser Film von Regisseurin Philippa Lowthorpe (im Fernsehen für „The Crown“ zuständig, das prägt) will spürbar nicht allzu weh tun, fokusiert sich der Blick unter all den Missen auf die farbigen Damen, die sich unter den eingebildeten weißen Tussis nicht ganz wohl fühlen. Aber für alle gilt: „Smile all the time, the world is watching.“ Wenn am Ende die Frauen aus Grenada (Gugu Mbatha-Raw) und Südafrika (Loreece Harrison) , die vor der Miß Welt-Wahl in ihrer Heimat am Fließband gearbeitet hat, gewinnen, wird dann ziemlich plakativ erklärt, wie viel das bedeutet – der Beweis dafür, dass schwarze Haut nicht automatisch dazu verdammt, kein Schicksal zu haben…

Aber bevor das Happyend ausbricht (wobei der Film klar macht, dass die Wahl der farbigen Frauen schon damals auf Berechnung beruhte…), müssen die Emanzen noch gegen den „Cattle Market“ protestieren („Turning opression in a spectacle“), und sie tun es während der Schlußveranstaltung ganz heftig. Schließlich erlauben sich die Männer, vor allem Stargast Bob Hope aus den USA (gespielt von Greg Kinnear, der den Kulturschock zwischen englischem und amerikanischem Englisch klar macht) einfach unverschämt sexistisch…

Die jungen Frauen, die „Shame on you!“ brüllen, haben nicht viel Chance, wenn sie mit Spielzeugpistolen fuchteln (und Verdis „Dies Irae“ wird zur dramatischen Filmmusik für das ausbrechende Chaos genommen…). Die Polizei führt sie ab, und wenn Sally hinter der Bühne kurz auf Miß Grenada trifft, kann diese ihr nur sagen: „I don’t have your choices.“ Man kann nicht sagen, dass das Drehbuch nicht versucht, so viele Aspekte wie möglich einzubringen.

Sally Alexander ist damals mit ihren Gesinnungsgenossinnen im Gefängnis gelandet – die kleine Tochter holt sie nachher vom Gefängnistor ab, und es gab genügend Menschen, die sie mit Jubel Begrüßen. Sie alle sind ein halbes Jahrhundert später als lächelnde alte Frauen im Nachspann des Films zu sehen – es gab sie eben wirklich.

Ob sie mit dem Film zufrieden sind? Er bemüht sich so sehr, hat aber Angst, dem Thema die Schärfe zu geben, die ihm innewohnt. Es ist eine sehr sanfte Diskussion, die hier über ein recht bitteres Thema stattfindet. Immerhin, es ist gut, sich zu erinnern, wie schlimm es eigentlich damals war (und wie bequem für die Männer), als die meisten Frauen noch nicht an ihren Ketten rüttelten…

Renate Wagner

 

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