Filmstart: 17. August 2023
DIE LETZTE FAHRT DER DEMETER
The Last Voyage of the Demeter / ISA / 2023
Regie: André Ovredal
Mir; Corey Hawkins, Aisling Franciosi, Liam Cunningham, Javier Botet, David Dastmalchian u.a.
Horror auf einem Schiff hat man im Kino zu oft erlebt, um noch besondere Erwartungen daran zu knüpfen. Und dann überrascht die „Letzte Fahrt der Demeter“ positiv. Wir sind nicht in der Gegenwart, wo alle digitalen Künste aufgeboten werden, um undefiniertes Monster-Grauen zu bekämpfen. Die „Demeter“, ein russisches Schiff, legt 1897 von einem Schwarzmeerhafen ab. 50 Kisten werden aufgeladen, angeblich alle mit Sand und Erde gefüllt, aber in einer befindet sich, wie sich nach und nach herausstellt – Dracula.
Tatsächlich beruht die Geschichte auf einem an sich ganz kurzen Kapitel des Romans von Bram Stoker, das Drehbuchautor Bragi F. Schut zu einer vollgültigen Geschichte entwickelt hat. Und sie lotet optisch die Welt von gestern auf einem schwankenden Schiff ganz ohne Technologie stimmungsreich aus.
Der norwegische Regisseur André Ovredal, der schon mit einigen Horror-Filmen in seiner Heimat bekannt geworden ist, zitiert, als das Monster dann endlich als „Dracula“ auftaucht, Filmgeschichte – denn er sieht letztendlich aus wie Murnaus Nosferatu…
Angeheuert hat auf dem Schiff „Demeter“, wo der Kapitän (Liam Cunningham) und der Maat Wojchek (David Dastmalchian) die führenden Persönlichkeiten sind, auch der Arzt Clemens, ausgebildet in Cambridge, was für einen Farbigen damals noch selten ist, und er wird dafür sorgen, dass sich die Mannschaft nicht hemmungslos dem Entsetzen hingibt, als auf dem Schiff rätselhafte Dinge geschehen, erst die lebend mitgeführten Tiere zu Tode gebissen werden und dann immer wieder Mitglieder der Crew verschwinden. Clemens geht die Frage mit naturwissenschaftlichen Prämissen an was ihn ungeheuer sympathisch macht – aber gegen Vampire ist bekanntlich kein Kraut gewachsen. Corey Hawkins verkörpert diesen Clemens mit Intelligenz und Souveränität und ist das Zentrum des Films.
Dann taucht eine junge Frau auf (Aisling Franciosi), die sich an Bord geschmuggelt hat und dem Horror einen Namen geben kann, weil sie aus Rumänien stammt und im Bannkreis Draculas gelebt hat.
Zu dem unerklärlichen Verschwinden der Menschen (ein Schiff ist ein „geschlossener“ Raum, wo man einem Verfolger nicht entkommen kann) kommt noch eine überaus stürmische See, und der Regisseur gibt es nie billig, hält das Geschehen auch mit Hilfe einer Reihe persönlichkeitsstarker Nebenfiguren intelligent und gewissermaßen glaubhaft am Laufen. Auch lässt er immer wieder die Situation diskutieren, Intellekt statt bloß sinnlosem Gekreische.
Bis dann Dracula (Javier Botet), der anfangs nur geschwächt zu sehen ist, vom Blut gestärkt als sein majestätisches, schauriges Selbst erscheint… und man wundert sich nicht, dass am Ende, wo das Schiff nur noch ein Wrack ist, Clemens in London von der Absicht getrieben wird, den in der Menge verschwundenen Dracula zu suchen und unschädlich zu machen.
Vielleicht gibt es ja auch eine Fortsetzung… der Drehbuchautor dürfte, an der Geschichte entlang, ruhig weiter dichten. Man würde sie jedenfalls gerne sehen, denn Regisseure, die bei Horror nicht blind Klischees bedienen, sind schließlich nicht alltäglich.
Renate Wagner