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Film: DER KLAVIERSPIELER VOM GARE DU NORD

17.06.2019 | FILM/TV, KRITIKEN

Filmstart: 20. Juni 2019
DER KLAVIERSPIELER VOM GARE DU NORD
Au bout des doigts / Frankreich / 2018
Drehbuch und Regie: Ludovic Bernard
Mit: Jules Benchetrit, Lambert Wilson, Kristin Scott Thomas u.a.

Es gibt bekanntlich nur zwei Lebensbereiche, in denen Herkunft, Sprache, Rasse keine Rolle spielt – entweder man kann’s, dann ist man drin, oder man kann es nicht, dann leider… Das sind die Musik und der Sport. So konnte Daniel Barenboim Juden und Palästinenser zusammen setzen, und wenn sie gute Musiker sind, spielen sie dieselbe Musik vom Blatt. Und wer ein guter Kicker ist, wird in jedem Fußball-Team willkommen sein, egal…

Dies zur Einleitung für einen französischen Film, der von der Allmacht der Musik berichtet, aber seine Aussage so bitterernst nimmt, dass er knochentrocken ausgefallen ist. Die andere Gefahr hätte darin bestanden, allzu triefend zu werden (viele Klischees sind ohnedies nicht weg zu bekommen). Einfach war es nicht, die Geschichte des „Klavierspielers vom Gare du Nord“ zu erzählen, die übrigens eine fiktive ist.

Man kommt ja nicht alle Tage nach Paris und nicht alle Tage an den Gare du Nord, man müsste also überprüfen, ob dort wirklich ein Pianino steht mit der Einladung, jeder, der sich berufen fühle, könne darauf spielen. Man sieht einen jungen Mann, der hier mit ungeheurem Ernst und großer Intensität spielt – aber nicht etwa Jazz oder Schlager, sondern Klassik. Und er tut es herausragend, hervorragend (später erlebt man in Rückblenden, wie ein alter Mann dem kleinen Jungen das Klavierspielen beigebracht und ihm nach seinem Tod auch sein Instrument vermacht hat). Und man erfährt von dem jungen Mann auch, dass er aus der Unterschicht der Pariser Banlieue stammt, jenen Vorstadtbezirken, wo Migranten überwiegen und die Kriminalität ein Problem ist… Ein Problem des Films seinerseits besteht darin, dass das Drehbuch, das Regisseur Ludovic Bernard sich selbst geschrieben hat, äußerst vage bleibt und die Problematik dieser Herkunft eigentlich verharmlosend unter den Tisch gekehrt wird.

Nun, Mathieu Malinski spielt am Bahnhof (der überzeugende Titelheld, Jules Benchetrit, konnte übrigens nicht Klavierspielen, bietet aber nach schweißtreibendem Coaching auch diesbezüglich eine überzeugende Leistung) – und ausgerechnet Pierre Geithner, der Leiter des Konservatoriums, kommt vorbei. (Eine sehr schöne Rolle für Lambert Wilson, nuanciert in Gefühlen und Gedanken.) Er erkennt das Klaviergenie, lädt ihn ins Konservatorium ein – und unser junger Mann will nicht. Was soll er da? Er ist ganz offensichtlich davon überzeugt, dass das Leben für ihn nichts Gutes vorgesehen hat.

Das wahre Leben vielleicht wirklich nicht, aber das Drehbuch. Ganz schnell gibt es den Einbruch mit Freunden, ganz schnell die relativ milde Strafe der gemeinnützigen Arbeit, und siehe da, es ist das Konservatorium, wo Mathieu den Boden putzt – und wo Pierre Geithner nun auf die Ausbildung des Widerstrebenden besteht. Und ihm die strengst mögliche Lehrerin gibt: die „Gräfin“, wie sie genannt wird, und Kristin Scott Thomas erfüllt das Klischee der strengen, aber bis in die Fingerspitzen kompetenten Lehrerin, die dem Naturtalent nun alles beibringen muss, was dazu gehört, ein wirklich großer Pianist zu sein…

Und unser Held? Der ist meist mürrisch und abweisend. Findet zwar eine hübsche schwarzafrikane Freundin am Konservatorium, wo er sehr beneidet wird, weil man ihn so fördert (die anderen müssen sich viel mehr anstrengend), und immer wieder darf man – der Musikfreund wird zweifellos hervorragend bedient – lange Passagen klassische Musik am Klavier hören.

Ein bisschen Dramatik stellt sich ein, wenn die Ehefrau von Geithner eifersüchtig ist, meint, ihr Mann suche in dem jungen Talent nur Ersatz für den verstorbenen Sohn. Und am Ende, wenn sie ihn davon geekelt hat – ja, bangt wirklich jemand ernsthaft, er könne nicht noch in letzter Minute zum großen Wettbewerb kommen, obwohl sich eine Menge Hindernisse auftun?

Es ist nicht zu leugnen, dass dieser Film einförmig ist, bis an den Rand der Langweile, dass die klassische Geschichte vom Underdog, der es zum berühmten Pianisten in den großen Konzertsälen der Welt bringt (am Ende New York), hier so unspannend wie möglich präsentiert wird. Die Unvereinbarkeit der Welten, zwischen denen er sich bewegt, wird kaum problematisiert, die obligate Sieger-Story, die es letztendlich ist, reißt nicht mit. Man bekommt viel Musik, man bekommt durchaus interessante darstellerische Leistungen, aber im Ganzen hält der Regisseur den Zuschauer auf Distanz – und man wird mit seinem so sympathischen Mathieu nicht wirklich mitleiden und mitfiebern.

Renate Wagner

 

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