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Film: DER FALL RICHARD JEWELL

14.07.2020 | FILM/TV, KRITIKEN

Filmstart: 16. Juli 2020
DER FALL RICHARD JEWELL
Richard Jewell / USA / 2019
Regie: Clint Eastwood
Mit: Paul Walter Hauser, Sam Rockwell, Kathy Bates, Olivia Wilde u.a.
Prädikat: Wertvoll

Man weiß, was dem – nun schon greisen – Filmemacher Clint Eastwood seit Jahr und Tag am Herzen liegt. Die Missstände in seiner Heimat USA, die er thematisch in weitem Bogen umkreist. Aber selten ist eine Geschichte so gnadenlos unter die Haut gegangen wie jene von Richard Jewell. Eastwood musste nur einen realen Fall nachzeichnen, um den Wahnsinn und die Gewissenlosigkeit sowohl der amerikanischen Medienlandschaft wie auch des FBI dazustellen – eine Geschichte, die für sich selbst spricht.

Es war 1996 während der Olympischen Spiele in Atlanta. Außer der Polizei waren noch private Wachgesellschaften mit dem Schutz vor Anschlägen befasst. Richard Jewell war als Wachmann im Centennial Olympic Park abgestellt. Da entdeckte er unter einer Bank einen grünen Rucksack, den er sofort den Behörden übergab – es war eine Bombe, die dann auch explodierte, aber als sie bereits in den Händen der Fachleute war. Die Zahl der Todesopfer, die sonst vermutlich in die Tausende gegangen wäre, konnte so auf zwei Todesopfer reduziert werden. Und man feierte Richard Jewell als Helden…

Und dann schlug die Stimmung um, es begab sich das, was Clint Eastwood zu Recht als „amerikanische Tragödie“ bezeichnet – und die er als solche in aller Intensität darstellt. Denn erstens brauchte das FBI einen Täter (und hat den wahren erst viel später gefunden). Und zweitens eignete sich der dickliche, langsame, schüchterne, aber durch und durch honette Jewell, der es im Leben zu nichts gebracht hatte und mehr oder minder in die Kategorie „White Trash“ fiel, weit weniger zum Helden als zum möglichen Bombenleger. Genau dessen wurde er beschuldigt – und nun setzte die Hexenjagd ein. Die smarten, gnadenlosen Agenten des FBI (wie Tom Shaw , gespielt von Jon Hamm) sahen die Möglichkeit, mit diesem „Sündenbock“ den Fall rasch zu erledigen und ihre eigene Unfähigkeit zu verschleiern, den Täter zu finden (der die Bombe per Telefon angekündigt hatte) …

Eastwood arbeitet das im Grunde empörende Geschehen auf vielen Ebenen auf (wobei der Kinobesucher keine Sekunde lang an Jewells völliger Unschuld zweifeln kann, man weiß ja, was geschah): Paul Walter Hauser ist ideal als der ratlose, verwirrte Jewell, der der FBI selbst unter den Beschuldigungen, die man erhebt, noch helfen will, den Fall zu lösen. Kathy Bates ist sensationell als seine ältliche Mutter, die mit dem sehr erwachsenen Sohn (Jewell war damals 33) zusammen lebt und ebenso wie er dem Sturm der gnadenlosen Medien ausgesetzt ist, die ihre Wohnung unaufhörlich belagern. Sie wehrt sich gegen die FBI-Leute und die Journalisten mit der empörten Verzweiflung der schlichten Frau. OIivia Wilde spielt den Inbegriff der Skandal-Journalistin, die über Leichen geht und alles tut, um eine sensationelle Schlagzeile zu finden. Und da macht Sam Rockwell aus dem Anwalt Watson Bryant eine starke, witzige Figur innerhalb eines Geschehens, das dann doch keine Mediensatire, sondern eine unter die Haut gehende Tragödie ist – die Hetzjagd auf einen Unschuldigen. Eastwood muss die Geschichte gar nicht aufbauschen, sie erzählt sich von selbst, auch in ihren dann doch kitschigen Elementen.

Eastwood sagte in einem Interview, er würde sich wünschen, dass man nach dem 2007 im Alter von nur 45 Jahren verstorbenen Jewell eine Straße benennen würde. Das ist offenbar nicht geschehen. Aber das Denkmal auf der Leinwand, das er ihm gesetzt hat, macht Richard Jewell auf andere Art unsterblich. Und hat dem „Book of Shame“ Amerikas ein weiteres Kino-Kapitel hinzugefügt.

Renate Wagner

 

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