Filmstart: 23. Oktober 2020
DER BÄR IN MIR
Schweiz / 2020
Regie: Roman Droux
Mit: David Bittner, Roman Droux
Die Bezeichnung „Dokumentation“ trifft das Wesen dieses Schweizer Films nur teilweise. Gewiß, es wird von Tieren erzählt, die genau und liebevoll beobachtet werden. Aber es ist auch die Geschichte von Menschen, die von diesen Tieren – im konkreten Fall Bären – fasziniert sind. Der Hinweis, dass Filmemacher Roman Droux den Bären verfallen war, seit der als Kind seinen ersten Teddy bekam, ist vielleicht ein bisschen simpel. Was dann folgt, ist aber die besonders schöne Konsequenz dieser frühen Liebe und hat im Grunde die Qualität eines Spielfilms, wenn sich die „Handlung“ auch nicht durch besondere Dramatik, sondern durch liebevolle Kontemplation auszeichnet.
Tatsache ist: Der von Bären faszinierte Droux konnte den bekannten Bärenforscher David Bittner, einen Schweizer Landsmann, davon überzeugen, ihn nach Alaska mitzunehmen. Seit fast zwei Jahrzehnten ist Bittner – Zoologe, Fotograf, Naturschützer – dort dem Verhalten der Bären auf der Spur. Droux durfte mit, zwei Männer, Vorräte für zwei Monate, eine Filmkamera und der Wunsch, Bären so nahe zu kommen, wie es vertretbar ist – denn in der Wildnis sind es natürlich keine Teddys, sondern allein durch ihre Kraft lebensgefährliche Tiere. Ein Forscher, der jahrelang bei den Bären lebte, wurde dennoch von einem tödlich verletzt…
Die Geschichte wird in sanftem Schweizerisch aus dem Off kommentiert. Die Region in Alaska, wo sie sich niedergelassen haben, trennt die wilden Bären durch einen Zaun von ihrer menschlichen Umwelt, und das ist auch gut so. Dennoch konnten die Männer mit ihren Augen und durch das Objektiv ihrer Kamera die Tiere – diese Grizzlies sind die größten Braunbären der Welt – lange Zeit beobachten, einzelne von ihnen identifizieren, einige zu ihren Lieblingen ernennen und sich auch mit Einzelschicksalen beschäftigen. Und sie konnten erreichen, dass die Tiere, die die Menschen selbstverständlich wahrnehmen, sie mit der Zeit nicht mehr als Störfaktor betrachteten…
Noch ist Winter, es wird auf den Frühling gewartet, vor allem auf die Lachse in Fluß, die für die Bären das wichtigste Nahrungsmittel darstellen. Das Leben verläuft so gemächlich, dass die Menschen bei der Beobachtung Geduld und einen langen Atem brauchen – der Kinobesucher hat es leichter, er erspart sich das warten, warten, warten, er bekommt die Ergebnisse der Beobachter. Er sieht Bärenfamilien und Einzelgänger, sieht den „Big Boss“, den die Forscher „Bruno“ nennen, der gut 700 Kilo schwer sein dürfte und an dessen Dominanz nicht zu zweifeln ist. Man sieht, wie stattliche Männchen junge Weibchen umgarnen, sieht, wie die Bären, wenn der Hunger größer wird, immer gereizter werden und ihr friedliches Miteinander in Frage gestellt ist… Man erlebt sie als Gemeinschaft mit ihren Problemen.
Und die Männer stoßen auch auf Rätsel – ein vergrabener Bärenkopf, ein Sandhügel, unter dem ein großes Tier liegt: Begraben die Bären ihre Toten? Oder haben sich die notorischen Fleischfresser hier einen Vorrat eingegraben? Nicht alles, was die Männer an Rätselhaftem sehen und erleben, können sie einordnen und beantworten. Sie wissen auch nicht, was zwei junge männliche Bären bewegt, die so zart miteinander umgehen und einander umarmen wie ein Liebespaar – oder sind sie Geschwister?
Am Ende, wenn die Lachse kommen, kann man die Fangtechniken beobachten, die souveränen Alten, die noch ungeschickten Jungen. Nun ist das Überleben gesichert und starke Männchen kämpfen untereinander um die Beute.
Jetzt brechen die Beobachter nach einsamen Monaten ihre Zelte ab. Sie haben sich, man hat es genau gesehen, vorbildlich verhalten, mit allem Respekt den Tieren gegenüber. Schließlich sehen die Inuit in den Bären ihre Vorfahren und Seelenverwandten…
Der Versuchung, die Hand auszustrecken und die schönen Tiere, die bis an den Stacheldrahtzaun kommen, zu streicheln, haben die beiden Männer nicht nachgegeben. Das Abschiednehmen fällt ihnen nicht leicht, aber sie haben die Filme mitgebracht für alle, die Tiere, besonders Bären, genau so lieben wie sie.
Renate Wagner