Filmstart: 25. September 2020
DAVID COPPERFIELD – EINMAL REICHTUM UND ZURÜCK
The Personal History of David Copperfield / GB / 2019
Regie: Armando Iannucci
Mit: Dev Patel, Tilda Swinton, Ben Whishaw, Hugh Laurie u.a.
Wir kennen Charles Dickens vor allem als Zeichner des sozialen Elends seiner Zeit, und viele seiner Helden haben sich tragisch in unser Gedächtnis geprägt. Auch sein Titelheld David Copperfield hat es nicht unbedingt immer leicht im Leben und muss sich durch schlimme Menschen und Situationen durcharbeiten, wie es sich für einen berühmten Entwicklungsroman schickt.
Aber was die Leser in der Mitte des 19, Jahrhunderts vielfach düster anmutete – diesmal ist es in die Hände des britische Regisseurs Armando Iannucci gefallen. Und wüsste man von ihm nichts, als dass er in seiner Satire „The Death Of Stalin“ die echten russischen Behörden von heute zutiefst verärgert hat, würde es reichen, um seinen unglaublich lockeren Zugang zu der Geschichte zu erklären. Dieser Mann hat vor nichts Respekt.
David Copperfield, bei Dickens ein Ich-Roman, liest in der Rahmenhandlung – er ist schließlich Dichter geworden – in einem Theater aus seinem Leben. Da sieht er schon aus wie Dev Patel, und obwohl man diesen kaum als englischen Mann betrachten würde, führen seine innere Fröhlichkeit und sein Charme perfekt durch das Schicksal, so wie der Regisseur es sieht. Das heißt – eigentlich rast er durch sein Leben, und das mit positiver Attitüde. Die Geschichte entwickelt sich unendlich schnell, unendlich bunt und unendlich pointiert und scheut kinematographisch keine surrealen Übergänge. Das visuelle Vergnügen läuft auf einer eigenen Ebene.
Bloß: Es wäre eine gute Voraussetzung, dass man das Buch kennt, sonst huscht manche wichtige Figur vorbei, ohne dass sie im Film jenes Gewicht hätte, das sie im Roman besitzt. Und die innere Entwicklung des armen Jungen zum Dichter und Gentleman ist auch vor allem Behauptung. Nein, ein echter Ersatz für die Lektüre ist es nicht – aber ein vergnügliches Leinwand-Erlebnis.
Selbst der böse Stiefvater des kleinen David, der seine glückliche Kindheit beendet, ist so etwas wie eine komische Figur. Kinderarbeit in einer Londoner Fabrik schneidet gar nicht so sehr ins Herz, wie es sollte. Wunderbar dann der Auftritt von Tante Betsey Trotwood in Gestalt von Tilda Swinton: Sie und ihr Gefährte Mr. Dick, der sich in die englische Geschichte und König Charles I. vergräbt (köstlich: Hugh Laurie), geben ein prächtiges Paar von Spinnern ab, bei denen es David dann gut geht.
Und dann rauscht die Fülle der Figuren vorbei, wobei „Bösewicht“ Uriah Heep in Gestalt von Ben Whishaw auch nicht unkomisch ist (und wer „Uriah Heep“ nur als Rock-Band kennt, der möge sich daran erinnern, von wem sie ihren Namen geborgt haben). Die Figur des James Steerforth (Aneurin Barnard) ist ein Exempel dafür, dass auf Menschen kein Verlass ist. Es gibt in dem an Handlung überreichen Roman noch Liebesgeschichten (Dora ist ein Fehlgriff, denn Agnes ist die wahre Liebe von David) und Heiratssachen, und ,wie man weiß, noch viel, viel mehr Figuren und manchmal verwirrende Handlungsstränge.
Vermutlich hat man als Kinobesucher im Viktorianischen England schon lange nicht so viel Spaß gehabt. Originaler Dickens ist es allerdings nicht, man hätte die Geschichte ernster nehmen können. Aber sie ist schon so oft auf die Leinwand gebracht worden, warum nicht einmal so? Außerdem kommt irgendwann die nächste Verfilmung bestimmt – und das bedeutet dann neues Spiel neues Glück? Die Welt des Kinos ist noch immer die der unbegrenzten Möglichkeiten, wie man auch hier sieht.
Renate Wagner