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Film; DAS VERSCHWINDEN DES JOSEF MENGELE

Lohn der Angst

31.10.2025 | FILM/TV, KRITIKEN

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Filmstart: 31. Oktober 2025
DAS VERSCHWINDEN DES JOSEF MENGELE
Deutschland, Frankreich /  2025
Drehbuch und Regie: Kirill Serebrennikow
Mit: August Diehl, Burghart Klaußner u,a,

Lohn der Angst

Wahren Opernfreunden darf man mit dem russischen Regisseur Kirill Serebrennikow nicht kommen. Allein, was er an der Wiener Staatsoper an „Parsifal“ und „Don Carlo“ verbrochen hat, müsste reichen, um ihm die Tore zu jedem Opernhaus der Welt zu versperren. Und doch hat ebendieser Mann am Beispiel von Josef Mengele einen wirklich bemerkenswerten Film über deutsche Geschichte gedreht, wobei er sich auf den ausführlich recherchierten Roman von Olivier Guez gestützt hat.

Dass ein russischer Regisseur sich des deutschen Themas angenommen hat, hat zweifellos Vorteile. Obwohl selbst väterlicherseits Jude, ist er weder pro noch contra „emotional“ belastet wie jeder Deutsche, dessen Vorfahren in irgendeiner Weise in diese Zeit involviert waren, er wird keinen Legenden ungefragt erliegen, er ist „unberührt“, und diese Nüchternheit tut dem Film gut.

Josef Mengele (1911-1979) gehörte zu jenen Nazi-Kriegsverbrechern, die unsagbare Schuld auf sich geladen hatten. Als Lagerarzt in Auschwitz genoß er die „wissenschaftliche“ Freiheit, an lebenden Menschen, die für ihn ja nur Abfall waren, experimentieren zu können. Wie viel Leid er verursacht hat, ist unvorstellbar.

Und doch wussten die Nationalsozialisten, die auch nach dem Krieg noch untereinander in unglaublichem Herrenmenschen-Hochmut agierten, dass es gut war, sich eine Hintertür offen zu halten. Als alles zusammen brach und viele von ihnen nach Südamerika flüchteten, auswanderten oder wie immer man es nennen will, fanden sie dort ein riesiges Netzwerk an Menschen und Finanzen vor. Anfangs wagte Mengele doch tatsächlich einen Besuch bei seiner Familie in Deutschland, wo der Nationalsozialismus noch in den Köpfen wohnte. Und doch…

Serebrennikows Film läuft in Schwarzweiß (bis auf jene Rückblicks-Szenen, die  „bunt“ in Auschwitz spielen) und spiegelt etwas von Trostlosigkeit und Beengtheit. Denn es war kein Herrenleben in Südamerika, schon nach wenigen Jahren wussten sich die Hauptverbrecher gejagt – vom israelischen Geheimdienst Mossad ebenso wie langsam von den Deutschen, wobei sich Fritz Bauer, der Generalstaatsanwalt von Hessen, mit seinen unermüdlichen Bemühungen um Vergangenheitsaufarbeitung bei seinen deutschen Zeitgenossen nicht beliebt gemacht hatte. Als der Mossad im Mai 1960 Adolf Eichmann finden und festnehmen konnte, man ihm später den Prozess machte und hinrichtete, wurde für alle Nazis in Südamerika die Lage prekär. Mengele, mit verschiedenen falschen Namen, wechselte mehrfach das Land, ging von Argentinien über Paraguay nach Brasilien.

Serebrennikow zeichnet zweifellos zurecht einen Mann, der immer über die Schulter schaute, der zwar von einer Schar Gleichgesinnter umgeben war, aber dennoch jedermann mißtrauen musste. Seine Familie –reiche Fabrikanten aus Günzburg – versorgte ihn mit Geld, die ältere Generation so unfähig, Schuld und Reue zu empfinden wie er selbst. Erschüttert wurde er nur durch die Besuche seines Sohnes Rolf, der ihn mit dem erwachten Gewissen der nächsten Generation fragte: Wie war das damals? Was hast Du gemacht? Die Antwort geben in Rückblenden  jene Filme aus Auschwitz, die plötzlich in Pastellfarben gehalten sind  und zeigen, wie „schön“ es Mengele damals dort hatte, die aber dem Zuschauer die Kehle zuschnüren, weil es so echt wirkt… als hätten sich die Nazis selbst in ihrer Idylle gefilmt.

Mengele ertrank 1979 in dem brasilianischen Badeort Bertioga, Er war über Jahrzehnte Thema von reißerischen Artikeln im Nachkriegs-Deutschland, der gesuchteste Verbrecher, dessen man nicht habhaft werden konnte. Auch sein Tod wurde nicht geglaubt, für inszeniert betrachtet – nicht jedoch in diesem Film. Da man heute weiß, dass Mengele wirklich ertrunken und unter falschem Namen begraben wurde, lässt Serebrennikow ihn einfach ins Meer gehen – und nicht wieder heraus kommen.

August Diehl spielt den Mann, dem das Schicksal sein Herrenmenschentum abgeschminkt hat. Grandios, wie er nach und nach verfällt, ohne sich innerlich zu verändern. Nein, er ist nicht schuldig. Nein. Dreieinhalb Jahrzehnte folgten auf seine kurze Zeit des grauenhaften Glanzes unter den Nationalsozialisten. Da ist nichts abenteuerlich, nichts spannend oder spektakulär. Josef Mengele ist, wie der Titel des Films sagt, tatsächlich verschwunden. Seiner Schuld gegenüber blieb er verständnislos. Der Film allerdings trägt in hohem Maße zu Verständnis bei.

Renate Wagner

 

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