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Film: CLUB ZERO

15.11.2023 | FILM/TV, KRITIKEN

film club zero v~1

Filmstart: 17. November 2023 
CLUB ZERO
Österreich, GB  / 2023 
Drehbuch und Regie: Jessica Hausner
Mit: Mia Wasikowska: u.a.

Lange fühlt man sich bei Jessica Hausners „Club Zero“ an „Serviam“ erinnert, den Film ihrer österreichischen Regiekollegin Ruth Mader, der im Vorjahr in die Kinos kam. Die Grundvoraussetzungen sind ähnlich – jedes Mal eine Elite-Schule, wo eine einzelne Lehrkraft, die ihren Fanatismus hinter extrem ruhigen, sanften Tönen verbirgt, eine ausgewählte Schar von Schülern bis zu deren Untergang indoktriniert.

Bei Mader bringt eine Nonne die Mädchen dazu, sich die Schmerzen Christi körperlich zuzufügen, bei Jessica Hausner, die auch am Drehbuch mitschrieb,  bietet eine neue, für ihr Engagement allseits bewunderte junge Lehrerin ein Seminar über „bewusstes Essen“  an („Conscious Eating“ – der Film wurde auf  English gedreht) – beziehungsweise über, wie sich herausstellt, die Lehre vom  wenig und am  Ende gar nichts mehr essen… denn das verspricht Heil und Rettung.

Miß Novak versichert in ihren beschwörenden Vorträgen, es sei gesund, wenig zu essen, es macht den Körper leistungsfähig, den Geist frei, es schützt Natur und Umwelt und zerstört eine kapitalistische Lebensmittelindustrie. Im Gegensatz zu Maders Film, der sich geradezu affektiert kryptisch gab (wozu Religion allerdings verführt), geht Jessica Hausner ihr Thema geradliniger an, will es nicht mythisch verschwurbeln, sondern klar durchdenken.

Sie konzentriert sich auf die paar Schüler, die übrig bleiben (es springen auch welche ab, wenn man ihnen zumutet, gar nichts mehr zu essen), und sie reflektiert auch ausführlich über die Ratlosigkeit von Eltern, die heutzutage gelernt haben, für alles, was ihre Nachkommen tun, geradezu übertriebenes und devotes Verständnis aufzubringen und nicht mehr schlicht den gesunden Menschenverstand einzufordern (sonst könnten die Jungen ja seelischen Schaden nehmen…). Die Frage, wie viel Einfluß Eltern heute noch auf Kinder haben, ist ja durchaus virulent und wird hier scharf gestellt.

Miß Novak, die von Mia Wasikowska so unauffällig und so undurchschaubar dargestellt wird, immer mit einem freundlichen, verständnisvollen Wort auf den Lippen, nie geifernd predigend, aber mit Sanftmut bohrend, ist das faszinierende Zentrum des Films, an ihrer Glaubwürdigkeit hängt alles. Aber auch an den jungen Leuten, die aus verschiedenen Welten kommen.

Ben (Samuel D. Anderson) ist der einzige, hinter dem keine superreiche Familie steht,  sondern eine vernünftige Mittelklasse-Mutter, liebevoll, gut kochend (hervorragend: Amanda Lawrence). Sie macht auch keinen Druck auf ihn. Aber er will das Stipendium nützen, das man ihm bietet, und den Kurs von Miss Novak nicht nur zu besuchen, sondern dort auch mitzumachen, ist Voraussetzung. So zwingt er sich in die Materie, bis er dem Gruppenzwang und der seltsamen Überzeugungskraft von Miss Novak erliegt.

Die reichen Eltern von Fred (Luke Barker) kommunizieren mit ihm nur flüchtig per Skype, und weil er Tänzer werden will und in Miss Novak verliebt ist, sucht er sein Heil bei ihren abstrusen Thesen.

Von den Mädchen rückt mehr noch als Ragna (Florence Baker) und Helen (Gwen Currant), die der finalen Katastrophe durch Zufall entkommt, Elsa (Ksenia Devriendt) ins Zentrum, die ihren Eltern mit ihren provokanten Hungerexzessen ihren ganzen auch politischen Widerstand entgegen schleudert und zu einer wahren Ekel-Szene angehalten ist: Essen erbrechen und das Erbrochene dann langsam wieder auf zu essen…

Obwohl die Eltern es fast schaffen, Miss Novak aus der Schule zu entfernen (im Endeffekt sind der Schulleiterin – Sidse Babett Knudsen – die saftigen Gebühren, die gezahlt werden, wichtiger als eine Lehrerin), hat diese schon gesiegt. Ihre vier „Auserwählten“ verschwinden, während Weihnachtsmusik penetrant erklingt (der dem Film unterlegte Sound ist permanent in jeder Beziehung stark), aus ihren Elternhäusern. Hier kann Jessica Hausner dann auch nur ins Irreale, Surreale ausweichen, lässt sie in ein Naturgemälde „eingehen“, Genaues erfährt man nicht, aber was gemeint ist, ist klar. Diese armen Fanatiker werden mit Miss Novak und ihrem „Club Zero“ der Auserwählten sicher auch gerne sterben… Da ist dann eigentlich klar, dass Jessica Hausner wieder einmal einen Horrorfilm gedreht hat.

Am Ende aber lässt die Regisseurin  (ebenso wie Ruth Mader mit ihrer zentralen Nonnen-Figur) den Zuschauer allein. Wer Miss Novak ist, woher ihr Wahn kommt, woraus ihre Kraft erwächst, erfährt man nicht. Ein „Gebet“ zu einer Muttergöttin vor einem Privataltar mit Lotosblume erklärt nicht ausreichend den Wahn, der in ihr steckt und der sich so zerstörerisch auswirkt…

Die Stärke des Films besteht darin, dass man ihn nie bezweifelt. Ja, genau so könnte es gehen – junge, idealistische, mit der Welt und der Elterngeneration unzufriedene Leute, leicht zu beeinflussen, auf der  Suche nach „Werten“, nach „Wegen“, nach „Idealen“, nach „Weltverbesserung“, nach „Selbstoptimierung“ … verkürzt man den Film nicht ungemein, wenn man nur von „Eßstörungen“ spricht, wie in mancher Kritik zu lesen? Ist Essen hier nicht viel mehr eine Metapher? Hat man so nicht auch Hitlerjungen und –Mädels gemacht? Oder heute – Terroristen? Man muss sie nur richtig packen.

Und das gelingt diesem Film, der international besetzt ist, in England gedreht wurde und dank der englischen Sprache die Ideen einer österreichischen Regisseurin mühelos in die Welt tragen wird.

Renate Wagner

 

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