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Film: BLACK PHONE

23.06.2022 | FILM/TV, KRITIKEN

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Filmstart: 23. Juni 2022 
BLACK PHONE
The Black Phone  /  USA  /  2021 
Drehbuch und Regie: Scott Derrickson
Mit: Mason Thames, Ethan Hawke, Madeleine McGraw u.a.

Angekündigt als „Horror“-Film mit einem schreckenerregenden Plakat-Motiv, erweist sich „Black Phone“ als ungemein vielschichtige Angelegenheit, in der primitiver Horror eine gänzlich untergeordnete Rolle spielt. Vielmehr fühlt man sich davon gefesselt, wie ein 13jähriger mutig und vor allem glaubhaft den Weg aus einer schier unlösbaren  Situation findet. Dass die Geschichte (vor allem durch das Motiv der verschwundenen Kinder) an Stephen King erinnert, muss nicht verwundern: Die literarische Vorlage stammt von  Joe Hill, der immerhin ein Sohn von King ist…

Die Handlung muss in einer vor-digitalen Vergangenheit spielen, denn unsere Welt würde auf das Verschwinden einer Handvoll von Teenagern in einer Kleinstadt ganz anders reagieren. Also schlüpft man zurück in die späten siebziger Jahre in Denver, Colorado (Regisseur Scott Derrickson stammt übrigens von hier), wobei das Stadtviertel North Denver der großen Stadt Denver nur scheinbar eher idyllisch wirkt, mit weitgehend leeren Straßen und einzeln stehenden, hübschen Häusern, denen ein Fahrradbote jeden Morgen die Zeitungen vor die Tür wirft.

Aber für den 13jährigen Finn Shaw und seine jüngere Schwester ist das Leben in keiner Hinsicht leicht. Nicht zuhause, wo die Kinder von einem brutalen Alkoholiker-Vater regelrecht tyrannisiert und gequält werden, und nicht in der Schule, wo Finn zu jenen gehört, an denen die scheinbar „Starken“ ihr Mütchen kühlen. Das ergibt erstaunlich brutale Szenen, denen es aber keine Sekunde an Glaubwürdigkeit (und dramaturgischer Notwendigkeit) fehlt. Dennoch kann Finn von einigen von ihnen etwas lernen – wie man sich wehrt zum Beispiel.

Und dann verschwinden Teenager. Man ahnt, dass Finn an die Reihe kommen wird, aber zuerst fokusiert sich die Handlung in Gestalt von ratlosen Beamten des FBI auf seine kleine Schwester Gwen (die unglaublich intensive kleine Madeleine McGraw, die in ihrem Zimmer Hexenbeschwörungen vollführt und auch mit ihrem imaginären Gesprächspartner Jesus streitet, wenn er ihre Wünsche nicht erfüllt). Gwen ist, wie man auf Englisch sagt, „psychic“, eine Art Medium, wie es schon ihre verstorbene Mutter war, und sie sieht in ihren Träumen Dinge, die die Polizei nie veröffentlicht hat.

Gwen und Finn halten eng zusammen, und so ist klar, dass sie eine besondere Rolle spielt, wenn eines Tages auch er – verschwindet. Einem lustigen, freundlichen Clown zu nahe gekommen, in sein Auto gezerrt – und in einem Keller erwacht, der zwar hoch oben ein Fenster hat, das man aber nicht erreichen kann.

Es ist erstaunlich, wie fabelhaft dieser Film funktioniert, obwohl er in der Folge vor allem in diesem Keller spielt. Und man lernt nun auch die Figur kennen, der nur „the Grabber“ genannt wird, der Mann, der schon die anderen fünf Jungen „geschnappt“ hat. Vielleicht ist es die Schwäche der Geschichte, dass man von diesem Täter im Grunde nichts erfährt – nicht, was ihn antreibt, nicht, woraus sich sein Sadismus speist. Und Ethan Hawke ist in dieser Rolle auch nur ein Name auf dem Filmplakat, er selbst – vielmehr sein Gesicht – ist nie zu sehen: Immer verbirgt er  sich  unter einer perchtenartigen Teufelsmaske. Da er nicht erkennen lässt, welches Spiel er mit Finn spielt, nur dass es vermutlich tödlich sein wird, lässt die Spannung nie nach.

Es ist die große Leistung von Mason Thames, dass man nun unaufhörlich dabei bleibt, wie er mit der Situation umgeht, nie aufhört, mit ihm zu bangen und zu hoffen. Das „irrationale“ Moment der Geschichte (die klassische  „Horror“-Effekte so gut wie nie einsetzt) besteht darin, dass das schwarze Telefon an der Wand, das laut dem „Grabber“ seit ewigen Zeiten kaputt ist, immer wieder für Finn läutet – und er die Stimmen der verschwundenen Jungen hört, die ihm Ratschläge geben, wie er sich möglicherweise befreien könnte. Man muss das nicht real nehmen: Auch Finn kann „psychic“ sein, kann sich seine Hilfe so holen, allein aus seiner Vorstellungskraft… Zusammenfassend kann man sagen, dass mühevoller als Finn wohl kaum jemand sein „Coming of Age“ erlebt hat.

Im realen Leben geht die Suche vor allem dank seiner Schwester weiter. Und Regisseur Scott Derrickson tariert genau aus, wie er die beiden Welten mit größtmöglicher innerer Spannung gegen- und nebeneinander stellt. Dass er dabei auf billige Effekte verzichtet, auch wenn er oft genug Gänsehaut erzeugt, hebt diesen Film weit über andere Produkte dieses Genres hinaus.

Renate Wagner

 

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