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Film: BELFAST

23.02.2022 | FILM/TV, KRITIKEN

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Filmstart: 24. Februar 2022 
BELFAST
GB  /  2021
Drehbuch und Regie: Kenneth Branagh
Mit: Jude Hill, Judy Dench, Ciarán Hinds u.a.

Heutzutage lebt man auch im „englischen“ Norden Irlands einigermaßen friedlich, wenn die katholischen Iren und die protestantischen Engländer einander auch nach wie vor misstrauisch beäugen. Aber Jahrzehnte ununterbrochener, blutiger, wütender, gnadenloser Kämpfe haben ein Ende gefunden.

In diese Zeit blendet Kenneth Branagh mit seinem Film „Belfast“ zurück, und der kleine Junge, um den es geht, ist er selbst. Was der 1960 in Belfast Geborene als Kind erlebt hat, bevor seine Eltern 1969 nach England zogen, aus dem einzigen Grund, ihm eine hoffnungsvollere Zukunft zu bieten, erzählt der über 60jährige nun in einem berührenden, nur wenig sentimentalen und auch politisch höchst aufschlussreichen Film. Den er in Schwarz-Weiß hält, was sich als goldrichtige Entscheidung herausstellt.

Branagh verarbeitet die Erinnerungen an eine Zeit ununterbrochener Unruhe, von Straßenschlachten und ungezügelter Radikalität auf beiden Seiten, Bomben, Feuer, splitternde Glasscheiben, Autos in Flammen, Verletzten. „Holy God“! Von Wut und Haß bebende Kämpfer sind überall –  und eine Bevölkerung dazwischen, die sich aus den Auseinandersetzungen nicht heraus halten kann. Und Kinder, die mit dieser Gewalt als Selbstverständlichkeit aufwuchsen, sich an die Situation anpassten und sie auch noch in die eigene Phantasie einfügten.

Das ist eine der Stärken des Films von Kenneth Branagh, diese extreme Welt als selbstverständlich darzustellen, wie sie erlebt wird, wie darin gelebt werden muss. Der kleine Buddy kennt nichts anderes, hat aber wenigstens liebende Eltern und ebenso liebende, lebenskluge Großeltern, die versuchen, ihm einiges zu erklären.

„This is what?“
„This is war.“

Und wie würden wir handeln, denkt der kleine Buddy schon ziemlich dialektisch, wenn wir Katholiken wären?  Dabei kommt selbst er als Kind nicht um Religionsdiskussionen herum, „I am protestant“, und schmerzlich wird es, wenn das Mädchen, in das er sich verliebt, Katholikin ist. Sein Vater versucht zu erklären, dass es nur auf den Menschen ankommt und nicht auf die Religion: „Wenn sie nett und lieb ist, ist alles in Ordnung.“ Aber wissen das auch die anderen? Sicher nicht die Kirchenmänner beider Religionen, die von ihren Kanzeln geifern und die Stimmung noch negativ anheizen.

Wir sehen diese Zeit und diese Welt mit Buddys Augen. Wir erleben Buddy, der sich ganz selbstverständlich zwischen  Trümmern und Glasscherben bewegt, wo um jede Ecke neue Gewalt lauert. Ein Buddy, der mit den Eltern und Großeltern leidenschaftlich gern ins Kino geht („12 Uhr mittags“ mit Gary Cooper! Auch dort starrt er auf Waffen). Ein Buddy, der sich liebend gern bei den fröhlichen, klugen Großeltern aufhält, die trotz ihres hohen Alters noch immer mit einander flirten und in denen Branagh der herrlichen Wort- und Sprachgewalt des irischen Volks ein wunderbares Denkmal setzt. Es ist überhaupt ein Hohelied auf die Menschen – zumindest jene von damals, die nie zu Haßmaschinen wurden, sondern Menschen blieben.

Aber es ist damals kein  Ende der Gewalt abzusehen, und  Buddys Vater, der teilweise in England arbeitet, entschließt sich zu dem schweren Schritt, mit der Familie dorthin zu übersiedeln. Man kann einfach nicht 24 Stunden am Tag immer auf der Hut sein, das ist nicht möglich. Also entschließen sie sich zu gehen. Gegen  Buddys Protest: „I don’t want to go to England!“ Und obwohl die Großutter zurückbleibt (Opa muss ins Spital und stirbt). Schau nicht zurück, flüstert Oma, als sich der Zug mit ihrer Familie in Bewegung setzt. Sentimental? Einfach wahr, einfach ein Zeichen der Stärke dieser Menschen.

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Inhaltlich klingt es wie eine simple Kindheits- und Familiengeschichte, aber sie ist prototypisch für jedes Heranwachsen in einer gewalttätigen Gesellschaft. Und wie Kinder, die in den Weltkriegen groß wurden, trotzdem fröhliche Kinder waren und mit den Gegebenheiten einfach lebtem, das zeigt Branagh an dem mit dem kleinen, blonden Jude Hill ideal besetzten Buddy. Und Judy Dench, die so wunderbar Königinnen (oder einst auch James-Bond-Chefinnen) spielen konnte, ist die herrlich verknitterte, so ungemein starke Oma, der Ciarán Hinds als kluger, trotz seines nahenden Absterbens immer fröhlich scheinender Opa zur Seite steht. Bei seinem Begräbnis sagt Oma: „Dont say you are sorry he is gone, say you are grateful he was here.“

Dazu kommen Caitriona Balfe und Jamie Dornan als Buddys Eltern, die für die Zukunft des Sohnes keine andere Möglichkeit sahen, als diese Bürgerkriegshölle, die ihre Heimat ist, zu verlassen. Kein leichter Entschluss, der Film spürt ihm nach.

Wären sie nicht aus Irland weg gegangen, „Buddy“ hätte wohl nie die Karriere machen können, die Kenneth Branagh sich in England erkämpft hat. Dass er seiner Jugend ein Denkmal setzt, einem überwundenen Blut-Irland und den wunderbaren Menschen darin, sagt er am Ende – er widmet den Film jenen, die weggegangen, und jenen, die geblieben sind… Kitsch? Nein, Erinnerung an etwas, das einen Menschen geprägt hat.

Für Kenneth Branagh wird man „Belfast“ nach seinen Shakespeare-Anfängen sicher als Höhepunkt seiner späteren Jahre betrachten können.

Renate Wagner

 

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