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Film: ANATOMIE EINES FALLS

30.10.2023 | FILM/TV, KRITIKEN

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Filmstart; 2, November 2023
ANATOMIE EINES FALLS
Anatomie d’une chute  /  Frankreich  /  2023 
Drehbuch und Regie: Justine Triet
Mit: Sandra Hüller, Swann Arlaud, Milo Machado Graner u.a.

Hat sie ihren Mann den Balkon hinunter gestoßen oder nicht? Es ist die klassische Krimi-Vorgabe, es gibt auch lange Gerichtssaal-Szenen mit Rückblicken, kurz, die Voraussetzungen gleichen einem klassischen Kriminalfilm. Und doch ist es viel, viel mehr geworden. Vielleicht vor allem, weil die französische Regisseurin Justine Triet auf die deutsche Darstellerin Sandra Hüller bestanden hat, die derzeit wohl zu dem Besten gehört, was das deutsche Kino zu bieten hat. Kurzum, ein Krimi – aber ein ganz besonderer.

Das Chalet, irgendwo in den Bergen Frankreichs, wirkt idyllisch. Aber man erlebt das dort lebende  Paar, die Deutsche Sandra und ihren französischen Gatten Samuel (Samuel Theis. vor allem in Rückblenden zu sehen), zwei Menschen, die Englisch mit einander sprechen, weil offenbar keiner zugunsten des anderen seine Identität aufgeben will. Sie leben hier mitsamt ihrem Sohn Daniel (Milo Machado Graner), der sehbehindert ist. Gleich zu Beginn findet der Junge, der mit dem Hund spazieren war, die Leiche des Vaters, offenbar vom Dach gestürzt. Was ist geschehen?

Man begreift, dass Sandra sich einen Anwalt nimmt, und Vincent (Swann Arlaud) hört ihr mit Sympathie zu. Trotzdem kommt schon bei seinen Fragen heraus, dass die Ehe nicht idyllisch war. Die Polizei hält alles für möglich – Mord, Totschlag, Selbstmord. Der Fall landet vor Gericht und findet einen Staatsanwalt (Antoine Reinartz), der mit persönlichen Ressentiments bei der Sache zu sein scheint.

Und Schritt für Schritt, so wie eine Zwiebel geschält wird, wird der Fall dieser Ehe entblättert und von allen Seiten bespiegelt – der unzufriedene Ehemann, die auch rücksichtslose erfolgreichere Gattin, Eifersucht und Vorwürfe wegen Betrugs, die gegenseitigen Anklagen, die wegen des Unfalls des Sohnes (und seiner Beinahe-Blindheit als Folge) im Raum stehen.

Es gibt immer überraschende Wendungen, es gibt auch unerwartete neue Beweise (heutzutage zeichnen offenbar viele Leute Streitgespräche per Handy auf?), und es gelingt der Regisseurin zu erzählen, wie viele (auch widersprüchliche) Nuancen das Leben haben kann…

Es ist Sandra, die hier unter Beschuss steht und Haltung bewahren will – eine unglaubliche Meisterleistung von Sandra Hüller, die, egal, was man von ihr erfährt, ja doch immer geheimnisvoll und auch rätselhaft bleibt. Auch, als sie aus Mangel an Beweisen frei gesprochen wird…

Und was ist nun wirklich geschehen? Wir erfahren es nicht, so viel sei gesagt, jeder darf sich seine Meinung bilden. Am Ende war es ein Film, der den Zuschauer ununterbrochen in Spannung hält. So verwirrend wie das Leben, wo es ja auch nicht auf alles eine Antwort gibt.

Renate Wagner

 

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