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Film: AMMONITE

04.11.2021 | FILM/TV, KRITIKEN

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Filmstart:  5. November 2021
AMMONITE
GB  / 2020 
Drehbuch und Regie: Francis Lee
Mit: Kate Winslet, Saoirse Ronan, James McArdle, Fiona Shaw u.a.

 Es hat in den letzten Jahren mehrere Filme gegeben, die – meist in historischem Ambiente – die Geschichten lesbischer Beziehungen erzählt haben. Der beste von allen ist nun endlich in unseren Kinos. „Ammonite“ stellt eine historische Figur in den Mittelpunkt, die bekannte britische Fossiliensammlerin Mary Anning  (1799-1847), die eine bedeutende Paläontologin war. Darum geht es allerdings nicht, sondern um sie als Mensch, als Frau. Wie weit die erzählte Geschichte einen wahren Hintergrund hat, weiß man nicht – Regisseur und Drehbuchautor Francis Lee hat ihr jedenfalls hohe Glaubwürdigkeit gegeben.

Nun werden lesbische Geschichten zumal in der Vergangenheit gewissermaßen als Protest gegen eine lieblose, unterdrückende Männerwelt erzählt, und das passt auch auf die zweite, für das Geschehen nötige Figur: Charlotte Murchison ist die junge, von ihrem Gatten wie ein lästiges Anhängsel behandelte Frau von Roderick Murchison (auch er eine historische Figur, auch er ein berühmter Paläontologe). Aber bis Mary und Charlotte zusammen treffen, zusammen finden, erzählt der Film erst die Lebensumstände von Mary, die in Lyme Regis, einem kleinen Ort in Dorset, an der Südküste von England lebt und sich und ihre kranke Mutter damit durchbringt, dass sie die Fossilienfunde, die sie tagtäglich am Strand sammelt, an Touristen verkauft. Sorgenvoll sitzt sie über ihren Büchern, wo sie jeden Fund einträgt und klassifziert.

Man merkt, wie schwer das Leben einer Frau in mittleren Jahren ist, die zwar als Wissenschaftlerin Anerkennung gefunden hat, um deren  Auskommen sich aber niemand kümmert… Schon dieser Anfang des Films spinnt den Betrachter in das meisterliche Porträt ein, das Kate Winslet von dieser einsamen, verschlossenen, schwer ums Überleben kämpfenden Mary entwirft, so traurig, freudlos, ohne Perspektive, aber auch ohne einen Hauch von Sentimentalität.

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Wenn nun ein englischer Gentleman mit großer Pose herbei stürmt und mit Geld winkt – ja, dann lässt sie sich nolens volens darauf ein, seine Ehefrau zu „bewachen“, solange er allein zu seinen Forschungen losziehen will. Wie es zwischen Roderick Murchison (James McArdle) und seiner jungen Gattin – die absolut hinreißende, auch sehr traurige Saoirse Ronan, die an seiner Seite regelrecht vertrocknet – steht, zeigen Kleinigkeiten: Dass er im Restaurant, ohne sie zu fragen, für sie bestellt, dass er sich im Ehebett abwendet und meint, jetzt sei nicht die Zeit, noch ein Kind zu machen…

Hier treffen dann als Notgemeinschaft zwei Frauen zusammen, deren Melancholie und Resignation zwar verschieden schattiert, aber gleich tief ist. Die Annäherung erfolgt auf Umwegen, auf Anhieb sind die Frauen zu verschieden. Die Beziehung ändert sich durch eine schwere Erkrankung von Charlotte, die Mary wider Willen (schließlich hat sie die Verantwortung über- und Geld genommen) zur Pflegerin macht. (Eine schöne Episodenrolle hat ein ausländischer Arzt, reizvoll gespielt von dem Rumänen Alec Secareanu.) Danach nimmt Charlotte langsam am Leben von Mary teil, sucht Fossilien so wie die arme Wissenschaftlerin es tut, die reiche Lady hat eine sinnvolle Beschäftigung gefunden – und die Hände der Frauen berühren sich…

Man wartet nur darauf, dass „es“ geschieht, und alles läuft gleicherweise diskret, aber unmissverständlich deutlich ab (diese Liebesszenen wurden in der Boulevard-Presse ausführlich beklatscht), die Seelen entladen sich in körperlicher Vereinigung. Die beiden blühen auf, erleben nie gekannte Gefühle, sind auf einmal glücklich wie Kinder – und da muss der Ehemann, den niemand vermisst hat, zurück kommen und alles zerstören. Wunderbar das sterbenstraurige Gesicht von Saoirse Ronan, als sie zum Gatten in die Kutsche steigen und wegfahren muss…

In einer Szene erfährt man, dass Mary schon einmal die Liebe einer Frau gesucht und gefunden hat, aber diese (Fiona Shaw) hat sich vor der Leidenschaft dieses Gefühls zurück gezogen und Mary sehr verletzt. Aber als Charlotte versucht, eine Entscheidung zu treffen, Mary zu sich holen will, ihr ein eigenes Zimmer in ihrem Haus in der lebhaften englischen Hafenstadt einräumen, mit Platz zum Arbeiten… da möchte man Mary geradezu zurufen, dieses Happy End anzunehmen. Aber wäre sie dann nicht, wie sie sagt, nur ein Vogel in einem goldenen Käfig? Charlotte bricht das Herz, und dem Zuschauer, der nicht anders konnte als geradezu leidenschaftliche Anteilnahme für diese beiden Frauen zu empfinden, auch.

Francis Lee hat keine geringere Frage gestellt als die, ob Liebe befreien kann. Kate Winslet und Saoirse Ronan machen in Schauspielerkino vom Feinsten klar, dass die Zeit damals noch nicht gekommen war. Aber wäre diese Beziehung (übrigens auch als Stoff, als Film) so wertvoll gewesen, wenn sie mühelos alle Barrieren gesprengt hätte? Letztendlich ist es nicht eine Lesben-Geschichte, sondern ein Beziehungsfilm, der die gesellschaftlichen wie psychologischen Vorgaben mit großer Klarheit und gleichzeitiger Sensibilität behandelt.

Renate Wagner

 

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