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Film: ALLE REDEN ÜBERS WETTER

12.09.2022 | FILM/TV, KRITIKEN

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Filmstart: 15. September 2022
ALLE REDEN ÜBERS WETTER
Deutschland  /  2022 
Drehbuch und Regie: Annika Pinske
Mit: Anne Schäfer, Judith Hofmann, Sandra Hüller u.a.

Irgendein Nest in Mecklenburg-Vorpommern. Die Mutter wohnt im Plattenbau, die Großeltern haben ein kleines Häuschen. Die Ausstattung hat sich seit DDR-Zeiten kaum verändert. Die Leute sind nett, aber schlicht, um nicht primitiv zu sagen. Kurz, man weiß genau (und versteht auch), warum Clara von hier aufgebrochen ist, um ihre geistige und menschliche und natürlich feminine Selbstverwirklichung zu erreichen.

Wir lernen die attraktive Spät-Dreißigerin (Anne Schäfer sieht aus wie Sandra Bullock in ihren allerschönsten Tagen) in dem Film „Alle reden übers Wetter“, das Debut von Annika Pinske, erst in ihrer neuen, wohl einst ersehnten Umwelt kennen, die mittlerweile zur Folterkammer geworden ist. An der Universität Berlin hat sie einen kleinen Vertrag für   Seminare an der Philosophischen Fakultät (und diskutiert mit den Studenten hoch gestochen über Gender und Klischees), aber das soll sich ändern, wenn sie ihre Dissertation über Hegel endlich fertig gestellt hat  – falls diese entspricht, ebenso wie der Vortrag, an dem sie arbeitet: Ihre Doktormutter lässt sie die Abhängigkeit spüren, von deren Urteil hängt alles ab. In einer  Szene (mit der herrlich verbissenen Sandra Hüller) wird diese Margot (eine hintergründig-fiese Meisterleistung von Judith Hofmann) von einer ehemaligen Studentin für ihren  unmenschlichen Umgang mit den Abhängigen attackiert – sie solle sich ihre Opferrolle abschminken, ist die kaltschnäuzige Reaktion. Ja, man ist hier in der Schlangengrube, und nur wer bei allem mitmacht und die richtigen, schleimigen Aktionen setzt, hat eine Chance, hier nicht unter zu gehen.

Clara, die an sich in einer schäbigen WG wohnt und ihre unehelichen 15jährige Tochter Emma (der ewig leicht bockige Teenager: Emma Brüggler) bei ihrem Vater und dessen Frau geparkt hat, weiß genau, was verlangt wird: Bei einem Treffen in hochrangig-hochnäsigen Kreisen erfindet sie sich schnell einen Diplomaten-Vater und eine malende Mutter, mit kleinbürgerlicher DDR darf man da nicht kommen, man wäre in einer Sekunde auf ewig erledigt. Und sie weiß auch, dass die Arbeit immer vor allem kommen muss – der Student Max (Marcel Kohler) wird im Hotelzimmer benutzt und zurück gelassen (egal, wie verletzend das für ihn sein muss), die Anrufe der Mutter (Anne-Kathrin Gummich) unter Vorwänden kurz gehalten, man muss schließlich arbeiten. Und dauernd über die Schulter schauen, was es wieder abzuwenden gilt…

Nur der Geburtstag der Mutter, dagegen ist nichts zu machen. Die zweite Hälfte des Films bringt Clara und Emma da in ländliche ehemalige Heimat, in die Vergangenheit. Man muss es der Regisseurin hoch anrechnen, dass ihre Heldin kein kaltblütiges Biest ist (wäre eigentlich zeitgemäß, diese Art von besessenen Karrierefrauen so zu schildern), sondern immer noch eine warmherzige Frau, deren Gefühle nicht ganz verschüttet sind. Sie liebt die Familie, auch wenn sie ihren geistigen Ansprüchen nicht genügt. Wenn sie nicht nur blabla reden (übers Wetter eben) will, sondern wirklich „kommunizieren“, stößt sie auf die tauben Ohren derer, die gar nicht wissen, wovon sie redet. Oder man hat für solchen Schnickschnack weder Sinn noch Zeit.

Und am allerschlimmsten – man ist dort, in der heimatlichen Provinz, nicht einmal stolz auf sie und ihre Leistungen, weil einem diese viel zu abgehoben vorkommen. Dafür herrscht auf der menschlichen Ebene ein schlichtes Geben und Mögen, das Clara in ihrer Welt verloren hat. Und das bringt sie zum Überdenken ihrer Situation. Großartig, wie sie beginnt, für ihren intellektuellen Hochmut etwas wie Scham  zu empfinden. Kein Wunder, dass ihre (bemerkenswerte) Erkenntnis nach der Rückkehr nach Berlin lautet: „Ich will mich über niemanden mehr erheben.“

Die Leistung der Regisseurin besteht darin, genau zu erzählen, was sie will, die Gegensätze ganz klar, aber ohne dozierenden Zeigefinger, heraus zu arbeiten, einfach die gegebenen Situationen sprechen  zu lassen. Und Hauptdarstellerin Anne Schäfer, von der man im Kino noch nicht übertrieben viel gesehen hat, kann die Clara fast zerreißende Spannung klar machen, ohne zu triefen oder darstellerisch zu dozieren. Sicher, der Film bringt nichts Neues – der  Bruch zwischen den Welten existiert, wird es wahrscheinlich immer. Aber wenn man davon erzählt, dann so ehrlich wie hier.

Renate Wagner

 

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