Filmstart: 20, Dezember 2024
ALL WE IMAGINE AS LIGHT
Indien und europäische Co-Produzenten / 2024
Drehbuch und Regie: Payal Kapadia
Mit: Kani Kusruti, Divya Prabha, Chhaya Kadam, u.a.
Ein Blick in Mumbais Wirklichkeit
Wer vom indischen Film spricht, meint meistens „Bollywood“. Da erleiden wunderschöne Menschen dramatische Schicksale und brechen ununterbrochen in Gesang und Tanz aus – logistische Wunderwerke von Form und Farbe, Überwältigung und totale Künstlichkeit. Wenn nun ein indischer Film etwas ganz anderes zeigt, nämlich schlichten Alltag, dann erregt er auf jeden Fall Aufmerksamkeit.
So wie „All We Imagine as Light“ (nicht eben ein durchsichtiger Titel…) der indischen Regisseurin Payal Kapadia, die mit diesem ihrem Erstlingswerk im Westen stürmisch reüssierte – 2024 in Cannes Großen Preis der Jury, für 2025 Nominierung für den „Golden Globe“ unter den Besten nicht-englischsprachigen Filmen, auch noch eine Regie-Nominierung für Kapadia. Fast ein bißchen viel für eine anständig erzählte Geschichte, die sich – das ist heutzutage ein Bonus – vor allem um Frauen kümmert, die versuchen, ihr Leben zu meistern (LGBTIQ spielt keine Rolle). Wobei es wahrscheinlich eine der Stärken der Geschichte ist, hier nicht auf Ausbeutung, Unterdrückung und Mißbrauch von „Opfern“ zu setzen, sondern einfach – ein bißchen mögliche Realität.
Die beiden jungen Frauen, die im Zentrum stehen, sind übrigens (wie junge Inderinnen oft) wirklich sehr schön: Prabha (Kani Kusruti) und Anu (Divya Prabha) sind Krankenschwestern und teilen sich eine Wohnung. Prabba ist die ernsthaftere, ihr Mann ist als Gastarbeiter in Deutschland (und schickt in einem Paket einen hoch modernen Reiskocher), die Avancen eines Arztes lehnt sie freundlich ab. Anu, die unternehmungslustiger ist, hat ein Verhältnis mit einem Moslem (was in Indien nicht ganz einfach ist). Und da ist auch noch die ältere Parvaty (Chhaya Kadam), die auch im Krankenhaus arbeitet, allerdings als Köchin. Drei Frauen, die sich austauschen, sich um einander kümmern. Es passiert gar nicht so viel, bis zu kurz geballter Tragik: Wie wenige Rechte die Frauen haben, zeigt sich, als man Parvaty nach dem Tod ihres Mannes kurzerhand aus ihrer Wohnung werfen will, in der sie 22 Jahre beide gelebt haben. Es ist empörend, aber der Film stimmt nicht die große Anklage an, die billig zu haben wäre. Aber dass die Frauen Widerstand leisten, ist klar…
Am Ende gibt es dann noch eine seltsame Wendung der Handlung, als Prabha am Strand dabei ist, wie ein halbtoter, in einem Netz verstrickter Mann aus dem Wasser gezogen wird. Als er in ihrem Spital landet, entwickelt sich zwischen ihnen eine seltsame Beziehung…
Der Film stellt auch den Versuch dar, eine Art Psychogramm der Stadt Mumbai (früher als Bombay bekannt) zu zeichnen. Mit über 21 Millionen (!) Menschen ist sie der Ort der Superreichen und der Allerärmsten – und jener dazwischen, die aus der Provinz herziehen auf der Suche nach Arbeit und einer halbwegs möglichen Existenz. Eine Stadt der hektischen Feste und Zeremonien, normaler Szenen zwischen U-Bahn, Arbeit, Shopping und des Alltagselends. Eine Stimme aus dem Off erzählt dies und das über Mumbai und ihre Bewohner. Die Regisseurin beschwört sie in ihrer Ambivalenz in teilweise auch wunderschönen Bildern, und wenn nur Züge durch die Nacht rasen…
Am Ende hat man das Gefühl, ein bißchen etwas über Indien zu wissen – wie es wirklich ist. Und es ist glücklicherweise keine moralinsaure Zeigefinger-Belehrung geworden.
Renate Wagner